Die untere Grenzfrequenz einer Endröhre mit Kathodenkondensator ist wirklich komplexer zu berechnen als die eines Hochpasses.
Zur Definition "Grenzfrequenz": Das ist üblicherweise eine Frequenz, an der die maximale Verstärkung um 3 dB (d. h. auf 70,7%) gesunken ist. Ein normaler NF-Verstärker hat im Bereich um 1 kHz einen linearen Frequenzgang und auch die höchste Verstärkung.
Die untere Grenzfrequenz der gesamten (Endstufen-)Verstärkerschaltung wird im Wesentlichen durch die Steilheit der Röhre (siehe Datenblatt), Kathodenwiderstand und Kathodenkondensator bestimmt.
Die Kleinsignalverstärkung einer Pentode hängt von ihrer Steilheit ab. Die Steilheit besagt, wie stark sich der Anodenstrom ändert, wenn sich die Gitter-Kathoden-Spannung um einen bestimmten Wert ändert. Bei einer EL84 steigt der Anodenstrom um 11,3mA, wenn sich die Gitterspannung um 1 V erhöht --> Steilheit = 11,3mA/V.
Nehmen wir einen Anodenwiderstand von 500Ω an (Eingangswiderstand eines Übertragers), so erzeugen diese 11,3mA eine Spannungsdifferenz von 5,65V, also ist die Spannungsverstärkung 5,65V / 1 V = 5,65 .
Diese Verstärkung hat die gesamte Röhrenschaltung bei 1kHz, weil dort die Kondensator/Widerstand-Kombination eine so geringe Impedanz (sprich "Widerstand aus Wechselstromsicht") hat, daß sie keine Gegenkopplung darstellt.
Fahren wir die Frequenz immer weiter runter, erhöht sich die Impedanz des Kathodenkondensators. Damit vergrößert sich die Gegenkopplung, und die Verstärkung sinkt. Irgendwann erreichen wir die untere Grenzfrequenz.
Wo liegt diese nun?
Ich habe mir mal überlegt, wie man den Frequenzgang am besten durch ein Netzwerk charakterisieren könnte, das Kathodenwiderstand, Kathodenkondensator und Röhrensteilheit als Bauteile enthält. Von der Maßeinheit her ist die Steilheit ein Leitwert, der Kehrwert ist ein Widerstand. Für den Frequenzgang reicht es, wenn man sich Ua/Ue über der Frequenz ansieht.

Ein Blick in einen Grundig 3035: An der Kathode der EL84 sind 170Ω parallel 50µF angeschlossen. Da sich auch der Schirmgitterstrom mit der Gitter-Kathoden-Spannung ändert, müssen wir auch diese Steilheit berücksichtigen. Der Wert von Rs bildet sich also aus der Addition von Anodensteilheit + Schirmgittersteilheit (1,3mA/V bei Ia=48mA, siehe Datenblatt), das sind (11,3 + 1,3)mA/V = 12,6mA/V entsprechend (88,5 // 770)Ohm = 79 Ohm.
Hier ist die Übertragungsfunktion der Ersatzschaltung, (
Rs ist hierbei die Parallelschaltung der obigen Widerstände
Rsa und
Rsg2):

Das Ergebnis ist eine komplexe Zahl. Der Maximalwert ist 1 + j0 bei ω = 0. Zur Berechnung der Grenzfrequenz überführt man die Formel in die Polarkoordinatendarstellung, weil nur der Betrag interessiert. Jetzt setzt man die linke Seite der Gleichung auf 0,707, stellt alles nach ω um und kann die Grenzfrequenz errechnen.
Da ich dazu weder Lust noch Zeit hatte, benutzte ich eine Schaltungssimulation, die das viel schneller kann: das kostenlose Simulationsprogramm "LTSpice IV" von Linear Technology, es wurde im Forum schon einige Male erwähnt.
Die Grenzfrequenz ist ca. 53 Hz. Bei sehr niedrigen Frequenzen, wenn der Kondensator nicht mehr wirksam ist, sinkt die Verstärkung auf -10dB gegenüber hohen Frequenzen. Zumindest dies kann man mit dem Taschenrechner einfach nachvollziehen.

Hier ist das Ergebnis der Simulation, Frequenzgang (linke Skala) und Phasengang (gestrichelt, rechte Skala).

Was passiert mit dem Frequenzgang bei einer Änderung von Kathodenwiderstand, Kathodenkondensator oder Steilheit der Röhre?
- Bei einem größeren Kathodenwiderstand sinkt die Verstärkung bei niedrigen Frequenzen.
- Bei einem größeren Kathodenkondensator sinkt die Grenzfrequenz.
- Bei einer höheren Steilheit steigen die Verstärkungen bei hohen und tiefen Frequenzen an und die Grenzfrequenz steigt.
Von 1. und 3. sollte man allerdings die Finger lassen, wenn man die Auswirkungen auf den Arbeitspunkt nicht abschätzen kann.
Wer sich für die LTSpice-Simulation interessiert - hier ist sie incl. Schaltung. Als Text-Datei mit der Endung .asc speichern und mit LTspiceIV öffnen!
Code:
Version 4
SHEET 1 880 680
WIRE 96 16 -16 16
WIRE 304 16 160 16
WIRE -16 96 -16 16
WIRE 96 96 -16 96
WIRE 304 96 304 16
WIRE 304 96 176 96
WIRE -16 176 -16 96
WIRE 304 192 304 96
WIRE 304 192 256 192
WIRE 352 192 304 192
WIRE 256 224 256 192
WIRE 352 224 352 192
WIRE -16 336 -16 256
WIRE 128 336 -16 336
WIRE 256 336 256 304
WIRE 256 336 128 336
WIRE 352 336 352 304
WIRE 352 336 256 336
WIRE 128 352 128 336
FLAG 128 352 0
SYMBOL res 80 112 R270
WINDOW 0 32 56 VTop 0
WINDOW 3 0 56 VBottom 0
SYMATTR InstName Rk
SYMATTR Value 170
SYMBOL res 240 208 R0
SYMATTR InstName Rsa
SYMATTR Value 88.5
SYMBOL cap 96 32 R270
WINDOW 0 22 19 VTop 0
WINDOW 3 50 59 VBottom 0
SYMATTR InstName Ck
SYMATTR Value 50µ
SYMBOL Misc\\signal -16 160 R0
WINDOW 123 -101 104 Left 0
WINDOW 39 0 0 Left 0
WINDOW 3 -152 8 Left 0
SYMATTR Value2 AC AC 1
SYMATTR InstName V1
SYMBOL res 336 208 R0
SYMATTR InstName Rsg2
SYMATTR Value 770
TEXT -168 376 Left 0 !.ac oct 1000 1 10k
Gruß, Frank
Edit 16.12.11: Zwei Korrekturen. Danke, Dirk508!
Edit 18.12.11: Bildhoster gewechselt
Edit 26.12.11: Steilheit von g2 berücksichtigt, mit Simulation