Im folgenden beschreibe ich eine Methode, wie man - nur mit dem Oszilloskop als Meßgerät - die Schein- und Wirkleistung eines elektrischen Verbrauchers ermitteln kann. Vielleicht findet es der eine oder andere interessant.
Sinn der SacheWährend dieser Diskussion ging es unter anderem auch um Meßfehler bei Scheinleistung & Co.. Die niederpreisigen Leistungsmeßgeräte können große Meßfehler haben, gerade bei nicht-sinusförmigen Spannungen/Strömen. Für genaue Messungen muß man tiefer in die Tasche greifen.
Beim Oszillografieren kam mir der Gedanke, daß das gemeinsame (!) Oszillogramm von Strom und Spannung eigentlich alle nötigen Informationen zur Ermittlung der verschiedenen Leistungen enthält. Man muß nur drankommen und sie richtig auswerten. Mein Ziel war, die Leistungen incl. Phasenverschiebung mit einer akzeptablen Genauigkeit zu ermitteln, ohne tief in die Tasche zu greifen.
Gemäß rettigmerbs Motto "
Was nutzt der Welt all unser erworbenes Wissen, wenn wir es eines Tages ins Grab nehmen?" gebe ich hier zum Besten, wie ich das hinbekommen habe.
Ganz ohne Eqipment geht es allerdings nicht: ein 2-Kanal-Oszilloskop ist nötig, ein PC, ggfs. eine Digitalkamera, sowie die Kenntnis über einen passenden Meßaufbau für die phasenkorrekte Strom- und Spannungsmessung.
Klar, daß es mit einem besseren Leistungsmeßgerät einfacher ist, daß man diese Werte gar nicht so genau wissen muß, und überhaupt … Falls dieser Weg zu umständlich, theoretisch oder aufwendig erscheint - die Triebfeder ist hier im Wesentlichen Erkenntnisgewinn.

Falls Fehler im Artikel sind oder etwas unklar ist, bitte Bescheid sagen!
GrundgedankeWelche Größen kann man aus den Oszillogrammen ermitteln?
Wirkleistung und Phasenwinkel. Sobald zwei Größen aus der Gruppe (Blindleistung, Scheinleistung, Wirkleistung, Phasenverschiebung) bekannt sind, lassen sich die anderen mit Hilfe der einschlägigen
Formeln berechnen. Das ist eigentlich alles.
Der IdealfallBei sinusförmigem Strom- und Spannungsverlauf ist es am einfachsten. Man braucht nur auf dem Oszilloskop die Position und Höhe des Maximalwertes beider Signale zu betrachten.
Scheinleistung : S = (Us * Is) / 2
Phasenwinkel : φ = 360° * (tIs - tUs) / T
Us : Spitzenspannung
Is : Spitzenstrom
T : Periodendauer
Ginge es nur um sinusförmige Signale, wären wir hier fertig.
Der Normalfall… heißt aber:
nicht sinusförmig:

Der Anlaß war ja, aus den Eingangs-Strom- und Spannungsverläufen eines Radios die Leistungsanteile herauszubekommen. Der Strom ist hier zwar periodisch, aber oberwellenbehaftet. Grund für die Verzerrungen ist im Wesentlichen die unlineare Belastung durch das Nachladen der Netzteil-Elkos. Je nach Innenwiderstand und Verschmutzung der Spannungsversorgung kann auch die Wechsel
spannung Eindellungen haben.
Ein Phasenwinkel bezieht sich immer nur auf eine einzige Frequenz; wir interessieren uns dabei natürlich für die Netzfrequenz. Wegen der Oberwellen sind aber keine eindeutigen Minima, Maxima oder Nulldurchgänge mehr auszumachen.
Frage: Wie kommen wir an die Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung, wenn der Netzsinus von Oberwellen überlagert ist?
Allgemeine Antwort:Mit Hilfe der
Fourieranalyse. Dabei wird das Signal vom Zeitbereich in den Spektralbereich umgewandelt, wie es so schön heißt. Für die Fourieranalyse benötigt man den Kurvenverlauf einer periodischen Schwingung in Form einer Meßwerttabelle. Heraus kommt eine Tabelle, die den Real- und Imaginärteil der verschiedenen Frequenzen enthält, und damit Amplitude und Phase der Grundwelle samt Oberwellen.
Man ermittelt also jeweils für den Strom- sowie den Spannungsverlauf den Phasenwinkel und berechnet die Differenz zwischen den beiden.
So, dann wären wir jetzt aber fertig.
Hm, …Die Fourieranalyse habe ich mal mit der DFT (Diskrete Fourier-Transformation) durchgeführt. Es funktioniert, aber wer sich einmal die notwendigen Berechnungen ansieht, stellt fest, daß sie keineswegs trivial oder einfach zu durchschauen sind. Zumindest ist das bei mir so. Ich wollte etwas besser Greifbares haben.

Wenn man beide Kurven z.B. auf Klarsichtfolien abgebildet hat, kann man die Folien händisch solange verschieben, bis die Phasen so einigermaßen übereinstimmen, und guckt sich einfach an, um welchen Winkel man verschoben hat - et voilà!
Das müßte doch auch mit dem Rechenknecht gehen.
Wie kommt man an die Kurve?Um die Kurven per PC auswerten zu können, brauchen wir den Kurvenverlauf in Form einer Meßwerttabelle.
Bei einem
Digitaloszilloskop mit Speichermöglichkeit kann man neben dem Bild auch eine Meßwerttabelle abspeichern. Das Format muß ggfs. angepaßt werden.
Hat man - so wie ich - nur ein
Analogoszilloskop, muß man die Meßwerttabelle aus dem Oszilloskop-Bild generieren. Es ist zwar anfangs umständlich, aber es geht.
- Spannung und Strom phasenrichtig und gleichzeitig auf den Oszilloskopschirm bringen. Die Kurven müssen soweit auseinanderliegen, daß sie sich nicht überlappen können.
- Mit einer Digitalkamera abfotografieren. Das Bild sollte so breit sein, daß eine Vollwelle mindestens 250 Pixel einnimmt. Empfindlichkeit für beide Signale merken, die brauchen wir noch.

- mit einer Bildbearbeitung
- Bild exakt senkrecht ausrichten
- beide Signale für genau eine Vollwelle ausschneiden
- jeweils Strom- und Spannungskurve getrennt ausschneiden und abspeichern, dabei das Zeitintervall in sec vomlinken zum rechten Bildrand merken - z.B. 0.02s (bei 50Hz). Bei Signaldifferenz vom oberen zum unteren Bildrandmerken, bei der Spannungskurve in Volt (z.B. 800V) und bei der Stromkurve in Ampère (z.B. 800mA).
- Bilder auf 2 Farben reduzieren, so daß der Oszilloskop-Strahl weiß und alles andere schwarz ist. Kleine Lücken -z.B. durch das Oszilloskop-Raster - machen nix. Die Schwarz/Weiß-Bilder sollten als BMP oder PNG abgespeichert werden.
->
und 
- Mit z.B. diesem Tool aus beiden Schwarz/Weiß-Bildern jeweils eine Meßwerttabelle generieren.
Format der MeßwerttabelleBrauchbar erschien mir das PWL-Format, das von LTSpice verwendet wird: d.h. pro Zeile ein Meßwert bestehend aus dem Zeitpunkt und dem dazugehörigen Spannungs- oder Stromwert, mit einem Tabulator getrennt. Zeit und Werte sind Zahlen mit Dezimalpunkt. Zusätzlich können in der ersten Zeile die beiden Einheiten stehen - z.B. "s" und "V", ebenfalls mit Tabulator getrennt.
Ermitteln des PhasenwinkelsPrinzipNehmen wir mal an, wir haben einen Wechselstrom und eine Wechselspannung (mittleres Bild), deren Phasenverschiebung zueinander wir beliebig variieren können - ohne die Amplituden zu verändern. Siehe
hier. Da sehen wir sehr schön, daß bei einer Phasenverschiebung von 0° (linkes Bild) die Wirkleistung (gestrichelte Linie) am höchsten ist.


Quelle: Wikipedia
- 0° (Widerstand)
- 60° (Widerstand und Induktivität)
- 90° (Induktivität)
Wie schon oben erwähnt: Wenn wir die Phase zwischen Strom und Spannungs solange
verschieben, bis die Wirkleistung ihr Maximum erreicht hat, haben wir auch den gesuchten Phasenwinkel.
MethodeWir wollen also die Wirkleistung maximieren. Wie ermittelt man denn die Wirkleistung aus einer Meßwerttabelle? Wie PL504 in einem früheren Posting schon andeutete, geht dies, in dem man eine Vollwelle in viele Stützpunkte (mit gleichen Abständen) unterteilt und deren vorzeichenbehaftete Momentanleistungen mittelt.
Auf diese Weise berechne ich zunächst die Wirkleistung mit dem
aktuellen Strom-Spannungsverlauf und merke sie mir; noch ist nichts verschoben.
Dann verschiebe ich den Strom um einen kleinen Winkel (alle Werte der Tabelle um eine Zeile nach hinten verschieben, der rausgefallene Wert kommt an den Anfang), berechne wieder die Wirkleistung und merke sie mir zusammen mit dem Winkel.
So geht es weiter, bis der Stromwinkel um 360° verschoben wurde.
Der Winkel mit der höchsten Wirkleistung entspricht (mit negativem Vorzeichen) dem gesuchten Phasenwinkel.
Das war’s, wir haben Wirkleistung und Phasenwinkel und können den Rest mit Standardformeln berechnen.
Diese numerische Optimierung kann man nicht zu Fuß machen, ohne lange Zähne zu bekommen. Dazu nimmt man sich ein passendes Programm, oder man schreibt sich selber was, mit einer beliebigen Programmiersprache. Es läßt sich auch - nach etwas Aufbereitung der Daten - mit Excel machen (VBA-Makros).
Ich habe zwei Tools programmiert, die die oben geschilderten Arbeiten übernehmen. Die stelle ich demnächst im Folge-Posting vor, zum Download.
Gruß, Frank