hallo,
hier ein paar Antworten:
Frage A:
Warum hat es Allstromempfänger noch bis in die 50er Jahre gegeben ?
Gab es nach dem Krieg noch Gleichstromnetze in Deutschland ?
Im Netz konnte ich leider keine Informationen zu diesem Thema finden.
Meines Wissens gab es noch bis in die sechziger Jahre kleine Gleichstromnetze ein Deutschland, in ländlichen Gegenden, wo der Netzverbund noch nicht hingekommen war. Man muss aber der Fairness halber sagen, dass die größeren Radios in Allstromtechnik schon in den frühen Fünfzigern zu den Exoten gehört haben. Bei den kleinen und billigen Radios haben sicher die Kosten eine Rolle gespielt, ein dicker Widerstand ist billiger als ein Netztrafo, und auch kleiner von der Baugröße. Um den dicken Netztrafo zu sparen, hat sich vor allem bei den Fernsehern der Röhren Ära die Allstromtechnik als Standard durchgesetzt.
Frage B:
Warum wurde bei den Röhrenradios der AM Empfang noch solange hochgehalten.
Seit Einführung des UKW Netzes wurde AM doch nur noch von einer kleinen Minderheit gehört.
Der AM Empfang wurde auch deshalb hochgehalten, weil es im öffentlich rechtlichen Rundfunk für die junge Generation kaum Programm gab. Auf Mittelwelle konnten BBC, verschiedene Soldatensender, Radio Hilversum, später Radio Luxemburg o.ä. gehört werden, die vom Musikprogramm deutlich weniger muffig waren. Radio Luxemburg war ja noch bis in die siebziger Jahre der Jugendsender, und wahrscheinlich maßgeblich dafür verantwortlich, dass Kurz- und Mittelwelle so lange populär blieben.
Frage C:
Was hat man sich bei den unsinnigen Seitenlautsprechern in den Radios gedacht ?
Angeblich wollte man eine Art Raumklang erzeugen. Meiner Meinung stellt sich bei den mir bekannten Geräten kein Raumklang ein.
Das hängt stark von den Radios ab - es gibt schon einige Exemplare, die sich mit dem 3D-Klang richtig gut anhören. Bei vielen Geräten kannst Du es auch gar nicht mehr so leicht beurteilen, weil sich hinter den seitlichen Gittern Elektrostaten befinden, die heute meist defekt sind.
Frage D:
Warum hat man das Thema Plattenspieler und Phonoeingang selbst bei hochwertigen Röhrenradios/Truhen so stiefmütterlich behandelt ?
Bereits in den 50ern und 60ern gab es hervorragend klingende Stereo- und Monoschallplatten (z.B. die Musik von Bert Kaempfert).
Das ist eins von meinen Lieblingsthemen, weil hier bei den meisten Dampfradiofreunden große Wissenslücken existieren. Das Konzept des heutigen HiFi Plattenspielers wurde 1951 von Perpetuum Ebner geboren. PE hat einen völlig neuen Plattenspieler entwickelt, der die Bedürfnisse der damals neuen Vinyl Schallplatte berücksichtigte, und auch aus Schellackplatten einen bis dahin nicht gekannten Klang rausholte. Der Plattenspieler bildete die Basis für das spätere Erfolgsmodell Rex A. das in den Fünfzigern in fast jeder deutschen Musiktruhe steckte. PE baute von Anfang an die Plattenspieler in eienr Standard- und in einer Sonderklasse-Variante. Die Standardvariante war mit einem von ELAC zugekauften Kristallsystem bestückt, die Sonderklasse Variante hatte schon 1951 ein Magnetsystem, das nach dem MM-Prinzip arbeitete, und einen mit einer Doppeltriode bestückten Entzerrer Vorverstärker. Wenn es Dich interessiert, ich habe mal einen Zeitschriftenartikel von damals als pdf gespeichert:
http://www.nerstheimer.de/bilder/pe_sonderklasse_ft2_52_web.pdfUm zu begreifen, was das für ein Fortschritt war, muss man sich vor Augen führen, dass man 1951 noch Koffergrammofone aus deutscher Produktion kaufen konnte, und dass die gängigen Plattenspieler zu dieser Zeit wie Grammofone aufgebaut waren, also mit schwerem Tonarm und Schneckenantrieb auf die Tellerachse. Das PE-Laufwerk kann sich zu dieser Zeit zu Recht als der modernste Plattenspieler der Welt nennen. Das Ende der Evolution dieses Plattenspielers war dieser hier:
http://www.radiomuseum.org/r/perpetuum_3310pe_studio_2.htmlDieser Plattenspieler war ein voll manuelles Laufwerk, und ist in verschiedenen Ausführungen in kleinsten Stückzahlen ab etwa 1958 gebaut worden. Auch wenn das Laufwerk an einigen Stellen modifiziert ist, entspricht es vom Grundsatz dem PE-Laufwerk von 1951, und ist auch nach heutigen Maßstäben noch voll HiFi-tauglich. Das erste HiFi-Laufwerk von Dual war dieses hier, es kam 1960 auf den Markt:
http://www.radiomuseum.org/r/dual_1006m.htmlWo Du aber recht hast, und was mir auch immer wieder auffällt, ist, dass es trotz der verfügbaren Technik nur wenige Musiktruhen und Kombinationen gibt, die diese auch nutzen. Bei den meisten Geräten gibt es einen krassen Widerspruch zwischen dem Radio und den Lautsprechern, und der eingebauten Phonotechnik. Der einzige Hersteller, der durchgängig bei den Spitzenmodellen auch adäquate Phonogeräte einbaute, war Grundig. Grund hierfür wird wohl gewesen sein, dass es noch nicht wie heute allgemein üblich war, Musik zu sammeln. Die meisten Leute haben Radio gehört, den Plattenspieler nur zu Weihnachten und zu Karneval benutzt, und das Tonbandgerät war bis in die frühen sechziger ein Gerät für ein ernsthaftes Hobby. Die oben aufgeführten guten Plattenspieler waren in ganz wenigen Musiktruhen eingebaut, und wurden überwiegend als Einbauchassis z.B. für Diskotheken verkauft - und da sind sie dann zusammen mit der Einrichtung irgendwann auf den Müll gewandert. Die einzigen HiFi-Plattenspieler aus der Zeit, die heute noch regelmäßig auftauchen, sind die Sonderklasse Laufwerke von PE aus der Zeit um 1957, wo das Mono Magnetsystem PE7000 eingebaut ist. Wenn so ein Gerät mal günstig zu bekommen ist, lohnt sich das auf jeden Fall - die Nadeln gibt es noch als Nachbauten zu kaufen, und es ist beeindruckend, wie so ein Fünfzigerjahre-Eimer mit Plastiktonarm klingen kann.
Standard war aber in den Fünfzigern das Kristallsystem, die oben genannten HiFi-Laufwerke brachten den Vorverstärker mit. Ich kenne nur ganz wenige Radios, wo ein vollwertiger Entzerrer Vorverstärker ins Radio eingebaut ist - das ist z.B. die Grundig Truhenchassis aus der 9080. Noch in den sechzigern war es üblich, den Vorverstärker in den Plattenspieler einzubauen, und selbst die großen Zargen von Dual aus der Zeit bis 1975 hatten einen vorbereiteten Platz für den TVV47. Dass jeder Verstärker/Receiver standardmäßig einen Phono Magnet Eingang hatte, das kam erst mit den Japanern in der zweiten Hälfte der siebziger.
Frage E:
Viele Röhrenradios aus dem Ostblock hatten auch in den 60ern noch einen Röhrengleichrichter verbaut.
Gab es im Osten keine Selengleichrichter ?
Du findest auch bei westdeutschen Geräten oft Konstruktionen, an denen man erkennen kann, dass da Teile verbaut werden mussten, die noch auf Lager lagen. Technisch zog die DDR in den sechziger Jahren noch ganz gut mit, nur musste halt öfter als im Westen altes Zeug aufgebraucht werden. Das für mich skurrilste Beispiel ist das mit der runden Bildröhre. Der erste in der DDR frei verkäufliche Fernseher war der Sachsenwerk Rembrandt, und der war mit einer runden Bildröhre bestückt, die auf eine Konstruktion von 1938 zurückgeht:

Eins der letzten Geräte, die mit der kleinen runden Bildröhre bestückt waren, kam 1959 auf den Markt, und war schon fast die Parodie eines Fernsehers:
http://www.radiomuseum.org/r/stern_stas_iris_12b.htmlDas Gehäuse war für eine 43cm-Bildröhre vorbereitet, aber scheinbar musste man noch alte Bildröhren unterbringen, und da hat man halt einen sehr großen Rahmen in das Gehäuse gebaut. Solche Lösungen findest Du bei DDR-Geräten häufig.
Frage F:
Im Gegensatz zur späteren Transistortechnik wurden in den Radios der 50er und 60er praktisch immer die gleichen Röhren verbaut.
Mit ca.10 Typen kann man wahrscheinlich 90% aller Radios abdecken.
Hat man nicht versucht mit neuen Schaltungskonzepten und Röhrentypen die Geräte weiter zu entwickeln (z.B. höhere Ausgangsleistungen) ?
Ganz stimmt das nicht. Einerseits hat man es in den Fünfzigern durch Standardisierung geschafft, die Preise nach unten zu drücken, und dadurch viele technische Errungenschaften fürs breite Volk verfügbar zu machen. Andererseits hat es schon Entwicklungen gegeben, ab den späten Fünfzigern hat es einen deutlichen Trend gegeben, die Röhren kleiner zu machen ( z.B. die EL95 ), oder mehrere Röhrensysteme zu integrieren ( ECL86, ELL80, ECLL800 ). Diese Integration wurde wichtig, als es galt, die Stereotechnik in ein Radio einzubauen, ohne es größer werden zu lassen und die Preise zu erhöhen. Als es dann mit der HiFi-Technik losging, gab es einige Röhrenverstärker ( z.B. die wunderbaren Geräte von Saba Telewatt, eigentlich Klein und Hummel ), die mit Endröhren bestückt waren, die Ableger von Fernsehröhren waren. Der Grund, weshalb es irgendwann nicht mehr weiterging, war einfach, dass die Röhrentechnik generell am Ende angekommen war. Dass dann von den Transistoren eine viel größere Typenvielfalt auf dem Markt war, lag schlicht und einfach daran, dass mit den Halbleitern auch die ganzen amerikanischen Typen und später noch die Japaner hinzukamen. Hätten wir in den Fünfzigern schon die Röhren aus der ganzen Welt in Deutschland gehabt, wäre die Typenvielfalt nicht viel kleiner gewesen, und wie bei den Transistoren wissen wir auch bei den Röhren, dass vergleichbare Typen unter tausend verschiedenen Bezeichnungen auf dem Markt sein können. Bei den Japanern hat man teilweise das Gefühl, dass sie die Halbleiter für jedes Gerät anders stempeln, nur um die Reparatur zu erschweren.
Frage G:
Warum wurden Anzeigeröhren anstelle von Zeigerinstrumenten verwendet ?
Sogar die UKW Stereoanzeige in den 60igern wurde oftmals mit einer Röhre anstelle einer einfachen Lampe realisiert.
wahrscheinlich, weil sie billiger waren. Ich kann mich noch an meine frühe Bastelzeit in den frühen siebzigern erinnern - da waren selbst einfache Einbaudrehspulinstrumente unerschwinglich, wir haben aus dem Restpostenhandel Messwerke gekauft, und sie umskaliert, weil wir uns ein Multimeter nicht leisten konnten. Magische Augen kosteten nur einen Bruchteil, und waren für Abgleichzwecke ähnlich gut zu gebrauchen. Sie waren nicht nur in Radios, sondern sogar in der Messtechnik verbaut, z.B. in Messbrücken. Die Stereoanzeige wurde nicht mit einer separaten Röhre realisiert, sondern es gab ein magisches Band, das neben der Abstimmanzeige noch ein Indikatorfeld für Stereo eingebaut hatte. Hier ist eine Beschreibung solch einer Röhre:
http://www.jogis-roehrenbude.de/Roehren ... EMM803.htmEs gab auch genügend Stereoradios, die eine Indikatorlampe eingebaut hatten - mir ist im Moment aber keins bekannt, das ein separates magisches Band nur für die Stereoanzeige hatte.
Ich hoffe, dass die Antworten ein wenig weiterhelfen.
Gruß Frank