Hallo Forum,
heute mal ein mehr anekdotischer Bericht von mir.
Vor einigen Wochen hatte ich einen Artikel in der "blauen" Sonntagszeitung, einem Anzeigenblatt, dessen redaktioneller Teil hier im Kreis viel gelesen wird, weil er gut gemacht ist. Unter anderem von dem Redakteur, der für meinen Artikel verantwortlich war und der auch das eine oder andere Radio gesammelt hat.
Daraufhin bekam ich einige Mails und es ergaben sich nette Kontakte. An einer Stelle bekam ich eine sehr kleine Tonfunk-Truhe geschenkt, die noch in gutem Zustand ist und der Aufarbeitung harrt.
Bislang am interessantesten war aber eine Nachricht von einem Mann hier aus dem Ort, der von seinem Vater berichtete. Dieser habe früher zwei Orte weiter einen Radio- und Fernsehladen gehabt und sei 1924 geboren ! Er lebe noch, wolle sich aber vom Rest seines übrig gebliebenen Bestandes trennen. 98 Jahre !!
Schnell war vereinbart, daß ich mit dem Sohn den Vater mal besuchen wollte, der noch immer alleine mit seiner Frau in einem Haus in einem anderen Nachbarort lebe. Die sei 90 und sehr krank, aber dem Vater gehe es gut.
Gedacht - gemacht, letzten Donnerstag hat der Besuch stattgefunden. Der alte Herr erwies sich als ausgesprochen mobil, etwa 1,65 groß, nicht schlank, nicht dick, zu seinem Ärger könne er aber wegen schlechter gewordener Augen nicht mehr löten. Die Beine wären auch nicht mehr so gut, aber in seine Bastelwerkstatt im Dachgeschoß käme er schon noch.
Dort trafen wir uns auch und ich erkannte, daß er die wichtigsten Geräte, die man in so einer Werkstatt braucht, aus seinem Laden mitgenommen haben mußte, als er diesen Ende der 80er-Jahre geschlossen hatte.
An Radios fanden sich noch 7 Stück, eine braune U-Philetta hatte er noch seiner Tochter versprochen, eine weitere goldene konnte ich erwerben, nicht ohne seinen Vermerk: "Jung, pass opp, die öss mött U-Röhren." (Ich bin 56....)
Er merkte aber bald, daß ich Ahnung vom Metier habe und so entspann sich eine Fachsimpelei, die bald in eine Erzählung seiner Lebensgeschichte mündete. Ich sah schon, wie der Sohn die Augen verdrehte, aber der Vater konnte hervorragend erzählen und ich hörte es ja auch zum ersten Mal.
Geboren 1924. Schon im Krieg als Minderjähriger Ausbildung zum Funker angefangen, ab 1942 bei der Luftwaffe, zunächst am Boden, dann beim fliegenden Personal als Bordfunker. Morsen habe man können müssen, und wie. 120 Zeichen pro Minute nehmen, das war sein bester Wert. Erst sei er am nahen Nachtflughafen in Venlo gewesen, dann im Osten. Dabei sei er dann für fünf Jahre in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten und nach Tiflis in Georgien gekommen. Da habe es ihm gut gefallen (!), weil er etwas gekonnt habe, was nicht viele konnten: alles zu reparieren, was irgendwie mit Funk und Nachrichtentechnik zu tun gehabt habe, vom Radio bis zum Fernschreiber. Er sei von den Offizieren gut behandelt worden, hin und wieder habe man ihm sogar eine Flasche georgischen Weins zugesteckt.
Rausgekommen sei er 1949 und zu seinem Bedauern nie wieder in Georgien gewesen. Nach dem Krieg habe er sehr schnell die Meisterprüfung gemacht, geheiratet und den Laden aufgemacht, damit das Haus finanziert, er habe ein tolles Leben gehabt und es gehe ihm immer noch dem Alter entsprechend gut.
Genau den Eindruck hatte ich auch: er wirkte nicht so wie jemand, der es nicht mehr lange macht. Ausgesprochen fit und klar im Kopf. Meine Güte, ich war wirklich überrascht. In weniger als anderthalb Jahren wird er 100, ich denke, das schafft er noch gut.
Und jetzt kommt es: ob ich denn auch Interesse an einem richtig alten Radio habe ? Er habe noch das Gerät, das seine Eltern (!!!) 1935 nagelneu gekauft hätten. Seine Kinder hätten kein Interesse daran, also wolle er, daß es in gute Hände komme und nicht bei seinem Tod in die Sperrmüll.
So langsam bekam ich feuchte Hände, Ihr könnt es Euch vorstellen. Und tadaaa, in einer Ecke eines Raumes stand das Gerät dann: ein Telefunken 235WL. Bakelitgehäuse, Zweikreis-Geradeaus mit Rückkopplung, gutem Lautsprecher und leider neu eingezogenem Stoff.
Komplett unbeschädigt, bis auf einen Grauschleier auf dem Gehäuse im neuwertigen Zustand. Natürlich wollte ich, obwohl ich so etwas ja gar nicht sammele...... Wie sich zeigte, spielte das Gerät sogar noch, das führte er vor. Es kommt zwar nicht mehr viel mitten am Tag auf MW und LW, aber der Engländer auf 198 Khz war deutlich auszumachen.
Noch mitgenommen habe ich die erwähnte Goldphiletta, einen Loewe-Opta Hellas 2841W in mittelprächtigem Zustand, einen Grundig 5079Tb, einen kleinen Schaub und einen kleinen Franzosen aus der Nachkriegszeit, beide ohne UKW. Für alle sechs Geräte habe ich 180 Euro bezahlt, zusätzlich habe ich noch einige Teile seiner Werkstattausrüstung übernommen, darunter ein paar Zwischensockel (braucht jemand einen für Dekalröhren ?)
Den alten Telefunken habe ich gestern geöffnet: fast alles noch original. Ein Widerstand 20k wurde schon vor sehr langer Zeit erneuert durch zwei in Reihe geschaltete Widerstände 12k mit der Aufschrift "Saba" aus Vorkriegsfertigung. Ein Siemens-Elko aus den frühen 50ern wurde zusätzlich zur Stützung des Ladeelkos eingesetzt, das Originalteil aber nicht abgeklemmt. Eine Röhre wurde getauscht (Valvo), der Rest ist Originalbestückung Telefunken. Außerdem ist ein "neues", aber sicher schon 60 Jahre altes Netzkabel angebracht worden.
Ich habe jetzt einen passenden Widerstand eingesetzt, den Koppelkondensator der Endröhre getauscht, der hatte ungefähr 6.000 statt 2.000 pF, war aber NICHT durchgeschlagen. Sehr gute Qualität von Hydrawerk, ich habe ihn mit 500 Volt beschossen. Da habe ich jetzt mal provisorisch und unauffällig so einen senfgelben Philips aus den 60ern eingelötet. Größtes Problem: der Blockkondensator ist mechanisch aufgeplatzt, aber wohl nicht elektrisch defekt, da das Radio spielt und auch keinen Brumm oder so etwas zeigt.
Dann habe ich das Gehäuse mit Stahlfix poliert, es glänzt nunmehr wie eine Speckschwarte, die Schallwand abgebaut und gestaunt: unter dem "neuen" Stoff (ca. 1960) ist der Originalstoff noch vorhanden, der alte Herr hatte sich das weiland sehr leicht gemacht, den neuen Stoff nur aufgetackert. Den habe ich also abgezogen und die Schallwand dann wieder eingebaut, nun sieht es wieder original aus. Der Stoff ist natürlich deutlich brauner als im Neuzustand (sieht man an den vom Gehäuse abgedeckten Stellen), aber nicht zerrissen oder ausgefranst.
Ich baue den nun heute wieder zusammen und dann drehe ich abends an der langen Antenne auf dem Dachboden mal ein paar Runden auf der Mittelwelle damit. Wenn der Blockkondensator dann "kommt" habe ich Pech gehabt, ich werde es riechen. Die Leistungsaufnahme des Geräts ist mit knapp 50 Watt jedenfalls vollkommen im Rahmen - in der Werkstattanleitung stehen glatt 50.
Ich muß das gestehen: ein Gerät mit einer so gut bekannten und dokumentierten Vorgeschichte hatte ich bisher kaum und schon gar kein dermaßen altes. Es ist mein bisher ältestes Gerät, danach kommt ein Paillard Typ 58 von 1937. Und es ist auch mein erstes Gerät mit Hochkant-Gehäuse, mein erster Zweikreis-Geradeaus und mein erstes Gerät mit Europa-Röhren. So etwas ist einfach nicht mein sammlerisches Einzugsgebiet.
Hören tut man damit nicht mehr viel, Mittelwelle und Langwelle sind heutzutage halt mittelmäßig und langweilig, vor allem übertags. Insofern tue ich mich mit radikalen Reparaturmaßnahmen schwer. Klar könnte man den Blockkondensator ausweiden und neu befüllen, aber wozu ? Letztlich wird das Gerät seine weiteren Jahre als Museumsstück zubringen. Ich habe bis jetzt noch den Antrieb mal gründlich geschmiert, die Skala gereinigt und etwas Staub entfernt, das war alles.
Wer es wohl bekommen mag, wenn ich "aufgebe" ? Auf jeden Fall werde ich eine leicht geänderte Version dieses Textes ausdrucken und hinten drin gefaltet deponieren, damit die Geschichte erhalten bleibt.
Bilder zeige ich demnächst, wenn ich ihn wieder zusammengebaut habe.
Vielen Dank für Eure Geduld.....
Holger
_________________ UKW: Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe.....
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