Ein paar eigene Eindrücke zum Thema, wobei ich bei den Radios bleiben möchte.
Ich bin in Anfang der 60er in einer Kleinstadt aufgewachsen, ländlicher Raum. Großstädte waren weit entfernt.
In dieser Kleinstadt gab es diverse Radio- und Fernsehhändler, i.d.R. boten sie Radios (und Fernseher) nur in einer sehr eingeschränkten Auswahl an, da sie zumeist noch andere Gerätschaften veräußerten (vom Bügeleisen bis zum Fön, bis zum elektrischen Rasierer usf.).
Man kaufte dort Glühbirnen und Batterien, und oft waren es Geschäfte, die auch noch Elektroinstallationen ausführten. Also ein bunter Mix, auf zumeist sehr begrenzter Ladenfläche.
Das bedeutete im Umkehrschluß, wenn man mal auf Radios blickt:
Da war "etwas" von jeder Preislage im Laden vertreten, aber oft eben nur 1 Gerät je Klasse. Jeder Kunde sollte etwas finden können, und die Kunden kamen zumeist nicht mit genauen Marken-/Typvorstellungen ins Geschäft.
Man schaute nach einem Radio
- das gefiel,
- das ins Budget passte,
- das an seinen vorgesehenen Aufstellort passte,
- das "gut" klang
und
- dessen Verkäufer nach Möglichkeit Ratenzahlung bot bzw. ein evtl. noch vorhandenes Altgerät (bis zum Vorkriegsempfänger !) in Zahlung nahm. Gut aufgehoben fühlte man sich in einem Geschäft, das auch Radios reparierte, für den Fall der Fälle.
So wurden die meisten Geräte verkauft, wobei ich nicht ausschließen will, daß eine Beratung auch anhand der Großhandelskataloge vorgenommen wurde, und nicht im Laden befindliche Geräte auch auf Kundenwunsch bestellt werden konnten. Etwa wenn man bei Bekannten doch einen so toll klingenden Nordmende Othello gesehen hatte und nun ein ebensolches, nicht im Laden vorrätiges Gerät haben wollte.
Die Radiohändler bestellten über den Großhandel, Versandhändler wie
Neckermann waren die Ausnahme, und im Fall des letztgenannten "abgestraft", da Neckermann am Großhandel vorbei seine Radios direkt vom Hersteller bezog und veräußerte, womit die Handelsspanne eben dieser Ebene "Großhandel" umgangen wurde und die Radios somit preiswerter waren. Namhafte Hersteller weigerten sich, ihn zu beliefern, Einzelhändler verweigerten die Reparatur dieser Geräte usf., so daß Neckermann ein eigenes Werkstättennetz aufziehen mußte.
Ein gute Quelle der damaligen Praxis bieten die Radiokataloge der 50er Jahre, da deren oft sehr umfangreiches Vorwort Marktanalysen, Rabattgestaltung, Absatzprognosen für die Zukunft und Planungshilfen für die Radiohändler umfänglich darlegt.
Abschließend zu deiner Frage über die 30er Jahre:
Natürlich gab es auch damals schon örtliche Radiohändler. Und natürlich waren deren Geschäfte / Filialen in den Großstädten mitunter recht groß, Beispiel:
Radio - Zentrale PROHASKA, in Berlin. Die verkauften nicht nur vor Ort, sondern gaben auch einen eigenen Katalog heraus und versendeten ihre Ware deutschlandweit, von Einzelteilen bis zu Komplettgeräten. Darüber gibt am besten ein Nachdruck der alten Kataloge Aufschluß; sowas wird bei ebay oft angeboten.
Sehr schön: Hier gibt es solche Uralt-Kataloge in digitalisierter Form
https://www.gfgf.org/de/historische-kataloge.html