Carmen 53 - wieder mit schönem Klang

Fragen, Berichte und Tipps zu Reparatur und Technik.

Für Einsteiger: Erste Inbetriebnahme eines Röhrenradios
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HegKon
Philetta
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Carmen 53 - wieder mit schönem Klang

Beitrag von HegKon »

Hallo liebe Radiogemeinde,

nachdem ich nun den Umzug durch die Hälfte des Bundesgebietes abgeschlossen habe, möchte ich einen kleinen Bericht über die letzte Radioreparatur loswerden. Nicht spektakulär, aber trotzdem mit erfreulichem Ergebnis.

Nach der Reparatur des Graetz 176W für einen Kumpel bot es sich an, dass ich mich mal um eine Nordmende Carmen 53 kümmern könnte. Ein Freund hatte sie bei mir abgeliefert, der mir damit etwas Gutes tun und das Gerät in guten Händen wissen wollte. Sein Vater hatte sie bei einer Haushaltsauflösung mitsamt einem Loewe-Opta Globus (Bj. 1950) ergattert, konnte damit jedoch nicht wirklich etwas anfangen.

Der Zustand war so *naja*. Der Lack rissig, einige tiefe Kratzer an gut sichtbaren Stellen waren vorhanden. Die Aus-Taste war wohl zerbrochen und durch Kunststoff- und Gummiteile ersetzt worden.
Nachdem ich dann die Rückwand abgenommen hatte, offenbarte sich mir eine kleine Überraschung: als Antennenzusatz hatte jemand mehrere abgenutzte Kohlebürsten für sehr große und starke Schleifringläufermotoren auf zwei Stahlleisten montiert und in das Gehäuse auf die Antennenfolie geschraubt. Der Antennendipol war abgeschnitten:

Kohlebürsten 1
Kohlebürsten 2

Der Gedanke war klar: diese Kohlebürsten bestehen aus stark verdichtetem Graphit mit u. U. mehr oder weniger großen Beimengungen an Metallpartikeln (Molybdän, Silber, Kupfer). Der Vorbesitzer erhoffte sich einen besseren Empfang, was ich allerdings nach Fertigstellung der Reparatur nicht so recht verstand. Später mehr.

Ansonsten war das Radio innen sehr stark verschmutzt, nicht nur durch Staub, auch durch Fett.

Nach dieser ersten Durchsicht machte ich mich dann ans Werk. Da ich den originalen Plan zunächst nicht finden konnte, mich jedoch an eine Korrespondenz hier im Forum bzgl. eines Planes für eine Carmen 53 erinnerte, schrieb ich ColonelHogan9162 an. Er war dann so freundlich, mir die Bilder seines originalen Planes sowie der überarbeiteten und nun wieder leserlichen Version zu überlassen:

Plan Nordmende Carmen 53
Für den netten Kontakt und die freundliche und schnelle Hilfe nochmals :danke:
Danach nahm ich dann das Radio auseinander: Ausbau des Chassis, Entfernung der Kohlebürsten samt Ersatz des Dipols (Spender: AEG Tambour 61), alle Knöpfe entfernt und gereinigt (auch hier ein :danke: an Novus2011, der mir die Ersatztasten verkaufte; die Tasten sind farblich heller, aber mangels eines vollständigen Tastensatzes mit einheitlicher Farbgebung ordnete ich sie wie auf den Bildern zu sehen an; ist ganz OK), Skalenglas ausgebaut und vorsichtig gereinigt, Lautsprecher, Schallwand und Rahmen ausgebaut. Dabei fand ich auch den Originalplan, er lag auf der verschimmelten Pappe der Wartungs- und Reparaturöffnung. Da diese beiden durch die jahrelange Zweisamkeit nun eine Einheit bildeten, die überdies nicht sehr gesund zu sein schien, entschloss ich mich spontan zu einer Archivierung dieser kleinen Liebschaft in der Mülltonne. War leider nicht mehr zu retten.

Das nun gestrippte Gehäuse reinigte ich erst vorsichtig mit einem feuchten Lappen und danach mit einem Autolackreiniger. Innen bekam das Holz eine Kur mit Leinöl verpasst, außen musste ich dann erst mal die tiefen Kratzer mit Lackkorrekturstiften kaschieren (hat sehr gut funktioniert) und wendete dann zweimal das bei Ossiladen.de bestellte dunkle Purigas an. Hätte nicht gedacht, dass sich der Lack nochmal so gut erholen würde. Baolin kommt später zum Einsatz.
Das Chassis reinigte ich im Verbund. Erst die leichten Verschmutzungen mit Glasreiniger, dann die elektrischen Kontaktstellen und die verharzten und schwergängigen Potis mit Kwasny-Bremsenreiniger und gegen die übelsten Verfettungen nahm ich WD40. Alles natürlich nur an den Stellen verwendet, an denen sie jeweils keinen Schaden anrichten können. Die gezahnten "Antriebe" der Drehkos
fettete ich neu ein.

Zwei Dinge gab es dann noch, die bei der Reinigung besondere Aufmerksamkeit erforderten: das Reflektionspapier hinter der Skalenscheibe und der Schallwandstoff. Beide seeeeehr schmutzig, verfleckt. Die Schallwand nahm ich dann mit ins Bad, feuchtete sie an und strich sie zuerst vorsichtig mit DanKlorix ein. Nach kurzer Einwirkzeit wieder ausgespült, stellte ich schon eine Verbesserung fest, allerdings waren immer noch Flecken vorhanden. Der zweite Durchgang mit der Chlorbleiche war dann nicht mehr ganz so zaghaft, mit einem Pinsel strich ich den Stoff satt ein, verkürzte aber die Einwirkzeit und konnte mich anschließend über eine sehr schöne Schallwand freuen.
Das Reflektionspapier war leider nicht so gut zu handhaben, ich ersetzte es durch Butterbrotpapier von Edeka; dieses ist etwas dicker als gewöhnlich, jedoch noch genügend lichtdurchlässig. Mit vier kleinen Streifen Tesafilm und etwas Klebstoff ließ sich nach Analyse der Originalfaltung das Butterbrotpapier dazu überreden, die Stelle des alten Reflektionspapiers zu meiner Zufriedenheit einzunehmen.

Die Kondensatorkur verlief ohne größere Schwierigkeiten, ganz im Gegenteil. Die üblichen Verdächtigen wurden ausgetauscht, auch ein Hoges-Widerstand musste dran glauben (Beispiele). Es waren noch ein paar dieser grünen Teufel vorhanden, aber zu meinem größten Erstaunen waren sie völlig intakt. Ihre Werte waren punktgenau, die Gehäuse wie neu; also beließ ich sie an Ort und Stelle. Vielleicht hat hier der Staub- und Fettbelag für eine gute Konservierung gesorgt.
Den im Forum schon öfters erwähnten geschirmten Kondi mit Widerstand (hier:C77 mit R42 an Poti R38) musste ich austauschen, da gar nicht gut erhalten. Einen achsialen Kondensator und den passenden Widerstand umwickelte ich mit Draht als Abschirmung. Ein Ende des Kondis und eines des Widerstandes wurden miteinander verbunden. Das ganze sollte dann noch gut verpackt werden, jedoch hatte ich keinen Schrumpfschlauch mehr zur Hand. Als Ersatz kam selbstverschweißendes Isoband zur Anwendung, das Ergebnis war zufriedenstellend. Ein Anschluss des Schirmes muss später auf Masse gelötet werden.

Nach Abschluss dieser Angelegenheiten ersetzte ich noch den Gleichrichter durch einen Eigenbau, versteckt im alten röhrenförmigen AEG-Gleichrichtergehäuse. Und dann der erste Testlauf: wunderbar!
Ein Klang, wie ich ihn von einem solchen Radio nie erwartet hätte! Die Werte durchgemessen, die Potis funktionierten einwandfrei, sogar der Elektrostat für die Höhen ist intakt. Völlig baff kurbelte ich die Sender durch, deren Positionen stimmten; die Trennschärfe und die Stärke des Empfanges waren außerordentlich gut, kein Radio hat mich je so überrascht. Und schon war die Sympathie zur Carmen zu Liebe geworden 8_) Angesichts des sehr guten Empfangs verstand ich dann nicht, warum der Vorbesitzer dieses schöne Radio so verunstaltete. Welch eine Sünde!

Leider gab es einen Wermutstropfen: das MA war tot. Da ich die Fassung zuvor von starkem Schmutz und Grünspan befreit hatte, konnte es daran nicht liegen. Auch kam alles an, was ankommen sollte. Es half nichts, Ersatz musste her. Eine Russin nahm anschließend ihren Platz ein, die elektrischen und mechanischen (das russische MA ist etwas breiter gebaut) Anpassungen waren schnell gemacht. Und sie tut nun ihren Job ganz ohne Murren.

Soviel zu meiner Carmen, die mich sehr überraschte und nun jeden Tag erfreut. Sie wird in naher Zukunft unsere Leseecke zieren und somit einen sehr schönen Platz in unserer Wohnung erhalten.


Viele Grüße!

René
Zuletzt geändert von HegKon am Sa Feb 13, 2016 19:40, insgesamt 1-mal geändert.
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holger66
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Re: Carmen 53 - wieder mit schönem Klang

Beitrag von holger66 »

Sehr schön hinbekommen und bald noch besser beschrieben.
Vor allem den Stoff hast Du sehr sauber bekommen.

Das Modell ist recht selten, glaube ich, gesehen habe ich das noch nie, die späteren Spanierinnen dafür umso häufiger.

H.
UKW: Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe.....
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Re: Carmen 53 - wieder mit schönem Klang

Beitrag von EQ80 »

Hallo René,
habe deinen Bericht zur Wiederauferstehung der Carmen mit großem Interesse gelesen, da meine Großeltern fast das gleiche Gerät hatten und ich da auch schon "meine Finger drin" hatte, aber am Ende spielte die unverwüstliche Carmen immer noch. :lol: Ich kann mich noch recht gut an die guten UKW-Empfangsleistungen erinnern, wohl dem aufwändigen UKW-Eingangsteil mit den beiden EC 92 geschuldet. Leider wurde die Carmen meiner Großltern irgendwann in der Verwandschaft weitergereicht und so verlor sich für mich die Spur zur Carmen...
Was mir auffällt: deine Carmen hat einen Hochtöner verbaut. Dagegen ist im Schaltbild kein Hochtöner verzeichnet. Ich bin mir sicher, daß die Carmen 53 meiner Großeltern keinen Hochtöner hatte. Vergleiche mal die Bilder der Carmen 53 und 55 bei radiomuseum.org (eine Carmen 54 gibt es offensichtlich nicht). Die Carmen 55 sieht ganz ähnlich aus - hat aber den Hochtöner eingebaut. Kann es sein, daß du eine Carmen 55 besitzt? Der Chassisaufkleber sollte Klarheit bringen...
@ Holger66: ich glaube nicht, daß die Carmen 53 oder 55 als "untere Mittelklasse" und damit "Volumenmodell" von Nordmende rar ist. Auch die Zahl der Besitzer laut radiomuseum.org deutet auf das Gegenteil hin... :hello:
Viele Grüße

Frank
HegKon
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Re: Carmen 53 - wieder mit schönem Klang

Beitrag von HegKon »

Hallo Holger, hallo EQ80,

vielen Dank für eure Antworten.

@Holger: Danke für das Lob, aus Deiner Feder immer wieder gerne gelesen :D

@EQ80: Es ist eine Carmen 53. Ohne Ferritantenne, aber mit Hochtöner. Es stimmt, dass dieser nicht im Schaltplan eingezeichnet ist, habe aber mal die Unterlagen einer 55 gesehen, in denen ein Hochtöner beschrieben, aber im Schaltplan nicht vorhanden war. Ist wohl dem viel gedruckten aber kaum beachteten Hinweis "Änderungen vorbehalten" geschuldet. Wenn Du bei RM.org den Button "nächste Bilder" bedienst, dann kommt auch eine Carmen 53 mit Hochtöner zum Vorschein.
Schade, dass Du nicht mehr im Besitz der Familien-Carmen bist. Ein schönes Gerät, und wenn dann auch noch ein paar Erinnerungen damit verbunden sind... Hoffentlich befindet sie sich in guten Händen.

Viele Grüße!

René
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Re: Carmen 53 - wieder mit schönem Klang

Beitrag von rolando61 »

Hallo Rene
Eine sehr gute Arbeit finde ich, ausführlicher Bericht, sagt wirklich alles.
Die EM 34 ist leider in den meisten Fällen defekt.
:super:
Gruß Roland
--------------------------------------

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Re: Carmen 53 - wieder mit schönem Klang

Beitrag von Vagabund »

Ich habe auch noch so ein Carmen, leider mit falscher Rückwand und in schlechtestem Zustand.
So, wie es aussieht, hat es auch einen Trafoschaden, es steht wohl kurz vor der Schlachtung, sollte ich den Platz mal benötigen und sich kein Trafo finden.
Schönes Teil...gut gelungen! Bei Dir hat es sich gelohnt.
Viele Grüße
Philipp

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Re: Carmen 53 - wieder mit schönem Klang

Beitrag von HegKon »

Hallo liebe Radiogemeinde!

@Roland: vielen Dank. Immer wieder schön zu lesen, dass sich der Bericht und die Radioarbeit gelohnt haben.

@Philipp: Schade, dass Deine Carmen in so schlechter Verfassung ist. Wäre fein, falls Du es doch noch schaffen solltest, sie wieder zum Singen zu bringnen. Und Danke für die positive Rückmeldung!


Viele Grüße!


René
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Re: Carmen 53 - wieder mit schönem Klang

Beitrag von Vagabund »

Also ich kann vermelden, daß meine Carmen doch zumindest dem Willen eines Forumsmitgliedes hier ausgesetzt ist, dessen Name ich nicht weiss, nennen zu dürfen.
Ich wurde von ihm auf diesen Thread hier angeschrieben und wir hatten gestern noch einen Deal ausgehandelt.
Jedenfalls bekommt Carmen schonmal einen neuen Trafo. Das ist ein großer Schritt in Richtung Leben, wird aber schon mehr Arbeit, als meine anderen Radios.
IMG_1025.JPG
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Viele Grüße
Philipp

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Re: Carmen 53 - wieder mit schönem Klang

Beitrag von HegKon »

Hallo Philip,

das ist doch schonmal ein Schritt in die richtige Richtung. Feine Sache, dass Dein Carmen ein neues Transplantat bekommt :super:

Viele Grüße!

René