Ein Bekannter brachte mir einen Braun SK55 aus den 60er Jahren, den er angeblich voll funktionsfähig erstanden hat. Ähnliche Vorgängermodelle (SK4, SK5, SK6, SK61) gab es seit 1956, die Geräte sind unter dem Spitznamen "Schneewittchensarg" bekannt.
Leider ist auf dem Transport der Tonkopf des Plattenspielers abgebrochen, vermutlich weil der Tonarm nicht arretiert war. Mit Hilfe von Zweikomponentenkleber und einer Hülse oder einem Stift werde ich das wohl reparieren können.
Welchen Interpretationsspielraum die Zustandsbeschreibung "voll funktionsfähig" bietet, überrascht immer wieder. Das Gerät empfing gerade mal einen Sender, auf Mittelwelle, mit massiven Aussetzern an Tastatur und allen Potis. Vermutlich funktioniert auch der Plattenspieler, wenn ich den Tonkopf wieder befestigt habe. UKW und Langwelle waren tot. Der Lautstärke- und beide Klangregler waren sehr schwergängig.
Das Netzkabel war mittig durchgeschnitten und mit einem Stück Lautsprecherkabel verlängert worden. Deshalb musste ich es ersetzen. Die Verbindungsstellen waren zwar verlötet, aber mit Heftpflaster oder ähnlichem isoliert worden, und zwar so dilettantisch, dass nur zufällig kein Kurzschluss entstanden ist.
Nach der Reinigung der Tastatur und der Potis sah es schon besser aus. Die Aussetzer waren weg, die Potis ließen sich wieder normal drehen und das Gerät spielte auf allen Wellenbereichen, aber die Empfangsleistung ließ deutlich zu wünschen übrig.
Als nächstes habe ich die Röhren geprüft (alle bei 100% oder knapp darunter) und nach Papierkondensatoren Ausschau gehalten. Von letzteren enthält das Gerät nur 4 Stück, drei davon liegen an höheren Spannungen: einer parallel zum Gleichrichter (Einweggleichrichtung, für ein Wechselstromgerät eher unüblich), der zweite zwischen Anode der EL84 und Masse, der dritte parallel zum Ein/Aus-Schalter des Plattenspielermotors. Alle drei zogen deutliche Leckströme, also habe ich sie ersetzt. Die übrigen Kondensatoren sind Styroflex oder Erofol II.
Nach einem kompletten HF- und ZF-Abgleich war auch die Empfangsleistung wieder in Ordnung, jedenfalls so weit man das von diesem Gerät erwarten kann. Auf das Design wurde ganz offensichtlich mehr Wert gelegt als auf die Funktion. Das Gerät hat weder eine gehörrichtige Lautstärkeregelung noch eine Ferritantenne. Für die bescheidene Ausgangsleistung von 3 W hätte auch eine ECL86 gereicht, das wäre in der Herstellung sicher billiger gewesen. Die EL84 ist jedenfalls unterfordert, was aber ihrer Lebensdauer zu Gute kommt.
Der Lautsprecher ist für die Schallöffnung im Blechgehäuse eigentlich etwas zu klein, an zwei Seiten sind etwa 2 cm breite Luftspalte vorhanden, die einen akustischen Kurzschluss bilden. Ist das bei diesem Gerät serienmäßig so? Der Lautsprecher und seine Einbauposition sehen jedenfalls wie auf den Bildern in rm.org aus.
Alle Antennenbuchsen waren so stark aufgebogen, dass jeder eingesteckte Stecker bei der kleinsten Bewegung sofort wieder herausfiel.
Nun noch u.a. den Bereich der Skala und der Skalenlampe geputzt, der so verstaubt war, dass man den Eindruck hatte, die Skalenbeleuchtung sei defekt. Und diverse fehlende Schrauben ergänzt.
Soweit zum Thema "voll funktionsfähig"...
Lutz
Braun Phonosuper SK55 "Schneewittchensarg"
-
- Geographik
- Beiträge: 10252
- Registriert: Do Dez 27, 2007 23:19
- Kenntnisstand: Sehr gute Kenntnisse (Hobby)
- Wohnort: östliches Niedersachsen
-
- Transmare
- Beiträge: 747
- Registriert: Di Apr 23, 2013 9:33
- Kenntnisstand: Weitergehende Kenntnisse (Hobby)
Re: Braun Phonosuper SK55 "Schneewittchensarg"
Wohl dem, der so einen Bekannten hat, der ihm so ein Gerät dann repariert!
Zum Thema voll funktionsfähig:
Habe im Herbst eine Elektra 58 erworben, die mit fast den gleichen Worten angeboten wurde.
Die Überprüfung ergab:
- Netzschalter gebrückt - weil defekt. Das Gerät ist also immer an, wenn es am Netz ist.
- Am Trafo hält die letzte von 4 Hohlnieten standhaft alles zusammen
- Das Chassi ist voller ERO 100. C91 (zwischen Anode und Schirmgitter der EL 84) sieht gar nicht gut aus. Die Messung ergibt vollen Durchgang.
- Erst nach dem Tausch der wichtigsten Papierwickel-C spielt das Radio mit schönem Brumm.
- Gleichrichter und Becher-Elko sind auch noch fällig
- Die EM 34 erkennt man nur bei Nacht und Licht aus - aber sie geht noch
Angeboten wurde es als "voll ok - spielt einwandfrei"
Zum Thema voll funktionsfähig:
Habe im Herbst eine Elektra 58 erworben, die mit fast den gleichen Worten angeboten wurde.
Die Überprüfung ergab:
- Netzschalter gebrückt - weil defekt. Das Gerät ist also immer an, wenn es am Netz ist.
- Am Trafo hält die letzte von 4 Hohlnieten standhaft alles zusammen
- Das Chassi ist voller ERO 100. C91 (zwischen Anode und Schirmgitter der EL 84) sieht gar nicht gut aus. Die Messung ergibt vollen Durchgang.
- Erst nach dem Tausch der wichtigsten Papierwickel-C spielt das Radio mit schönem Brumm.
- Gleichrichter und Becher-Elko sind auch noch fällig
- Die EM 34 erkennt man nur bei Nacht und Licht aus - aber sie geht noch
Angeboten wurde es als "voll ok - spielt einwandfrei"
noli turbare circulos meos
Mit Röhrengruß
Martin
Mit Röhrengruß
Martin
-
- Geographik
- Beiträge: 10252
- Registriert: Do Dez 27, 2007 23:19
- Kenntnisstand: Sehr gute Kenntnisse (Hobby)
- Wohnort: östliches Niedersachsen
Re: Braun Phonosuper SK55 "Schneewittchensarg"
Schwer zu glauben, dass die Verkäufer nicht wissen, was so ein Röhrenradio leisten kann, und deshalb ein Exemplar, das gerade so etwas von sich gibt, als voll funktionsfähig ansehen. Ich denke, meist ist eher eine gehörige Portion Frechheit im Spiel.
Nachtrag zu dem Schneewittchensarg: Am Motor des Plattenspielers ist das obere Lager fest. Wie diverse Kratzspuren und ein losgelötetes Kabel zeigen, war da auch schon mal jemand dran.
Zunächst sah es so aus, als wenn der Motor nicht oder nur schwer zu zerlegen wäre, da alle Teile verpresst sind. Wider Erwarten war die Demontage aber einfach. Am meisten hat mich überrascht, dass die Antriebsrolle auf der Motorachse nur aufgesteckt, nicht aufgepresst ist.
Im oberen Lager steckte ein größerer Span, der wohl nicht aus dem Motor stammt, eingebettet in einem Gemisch aus Fett und Staub. Nach Reinigung und Neuschmieren des Lagers und Zusammenbauen des Motors läuft er wieder einwandfrei.
Lutz
Nachtrag zu dem Schneewittchensarg: Am Motor des Plattenspielers ist das obere Lager fest. Wie diverse Kratzspuren und ein losgelötetes Kabel zeigen, war da auch schon mal jemand dran.
Zunächst sah es so aus, als wenn der Motor nicht oder nur schwer zu zerlegen wäre, da alle Teile verpresst sind. Wider Erwarten war die Demontage aber einfach. Am meisten hat mich überrascht, dass die Antriebsrolle auf der Motorachse nur aufgesteckt, nicht aufgepresst ist.
Im oberen Lager steckte ein größerer Span, der wohl nicht aus dem Motor stammt, eingebettet in einem Gemisch aus Fett und Staub. Nach Reinigung und Neuschmieren des Lagers und Zusammenbauen des Motors läuft er wieder einwandfrei.
Lutz