Wenn ich auch etwas beitragen darf... ?!
Meinen Gesellenbrief, bei mir steht da nur "Prüfungszeugnis", machte ich 1997/98 im Winter.
Die praktische Prüfung zum Enerigieelektroniker, Fachr. Anlagentechnik dauerte bei uns vier Tage. Donnerstags und Freitags waren jeweils zwei Prüfungen die wiederum ca. 30min. jeweils dauerten.
Darunter waren eine SPS-Aufgabe, die Fehlersuche in einer unbekannten Schaltung, Messübungen mit Oszilloskop und Multimeter und eine Aufgabe in Digitaltechnik.
Der Hauptteil - das Gesellenstück, war der Aufbau einer Schützschaltung mit Einbindung einer Euro-Karte, die allerdings vom Aufbau vorgegeben war. Wie bei Herby war das eine Lochstreifenkarte.
Obwohl zeitlich wesentlich länger als der nächste Prüfungsteil (7h oder 8h und 5H), war das für uns der leichtere Teil. Schließlich musste nach Plan aufgebaut werden und da die Prüfung auch noch in unserer Lehrwerkstatt abgehalten wurde und unser Ausbildungsleiter auch im Prüfungsvorstand saß, hatten wir seit dem Sommer mehrere Altprüfungen unter Prüfungsbedingungen aufgebaut. So war dieser Tag für uns eigentlich fast wie ein weiterer Test. Ich persönlich habe ich drauf gefreut, weil ich gerne Platinen gelötet und Schaltungen aufgebaut habe.
Was genau die Aufgabe war, weiß ich heute schon garnicht mehr. Jedenfalls waren auf der Platine irgendwelche Schaltstufen, die über Relais Leuchtmelder und Schütze ansteuerten. Im Meisterbüro stand ein Prüfstand für die Lochrasterkarte, an dem die Schaltung simuliert und getestet werden konnte. Sehr gut erinnere ich mich noch an meinen ersten Prüfungslauf für die Platine - man hatte drei Versuche. Mit einem Prüfer im Rücken, saß ich nun vor dem Simulator und steckte die Platine ein. Vor mir ein Zettel mit Anweisungen und Feldern zum Eintragen der Ergebnisse:
1. Drücken Sie Taster S1, was geschieht... Entspricht dies der gewünschten Funktion ? 2. Drücken sie Taster S2... Ich drückte und aus einem Poti stieg Rauch empor, was den Prüfer wohl sehr amüsierte und zum Ausruf "Oh, hier riecht's nach Ampere"! bewegte. Mein Ausbilder war mit im Büro und über seine Reaktion rätsele ich heute noch: Er sah auf das Poti - das stand fast am Anschlag - und meinte barsch: "DAS WEISS MAN DOCH, DASS MAN POTIS IMMER AUF MITTE STELLT BEVOR MAN DIE SCHALTUNG IN BETRIEB NIMMT!" Nun gut, so strebsam wie er waren wir nicht alle, auch wenn er das gerne gehabt hätte. Und man musste - wenn man was von ihm wollte - immer doch etwas besser sein als er, denn selbst bei für uns Lehrlinge kompliziertesten Sachverhalten meinte er regelmäßig: "haach, das wääs ma doch, dass das so is...". Heute Frage ich mich immernoch, wollte er mir damit einen Wink geben, oder kam es unüberlegt "vom Herzen"?
Ich entgegnete nur, dass es wohl ein Unding sei, dass man eine Schaltung so plane, dass ein Poti überlastet werden könne, denn ich war mir 101% sicher, dass meine Platine in Ordnung ist.
Zurück am Arbeitsplatz, baute ich schnell ein Ersatz-Poti ein - jeder hatte alle Teile dreifach - stellte alle Potis auf Mittelstellung und informierte meine Kameraden. Beim nächsten Prüfdurchgang erfüllte die Platine jedenfalls alle Bedingungen.
Bemerkenswert war, dass auch zwei arrogante Streber dabei waren, die sonst immer alles wissen und alles können. Beide hatten in der Berufsschule auch immer gute Noten. Einer davon wohl nur daher, dass er dem Lehrer nicht ganz unsympathisch war und er es ihm immer durchgehen ließ, dass er bei Klassenarbeiten meist garnicht auf die Fragen einging und sein geballtes Wissen eher im Stile einer Diplomarbeit wie ein Aufsatz seitenweise verfasste. Wo der Klassendurchschnitt mit 2-3 Blättern auskamen, lieferte er bei der Technologie-Arbeit 6-8 Seiten ab. Der arme Kerl stand dann bei der praktischen Prüfung stundenlang vor seinem Aufbau und fand weder in der Schützschaltung, noch auf der Lochrasterkarte die offensichtlichen Fehler.
Der andere suchte ebenfalls stundenlang nach dem Fehler, fand ihn nicht und bemerkte nach der Abgabe dann beim Aufräumen, dass er vergessen hatte seine Platine ganz in die Halterung zu stecken.
Der nächste Prüfungsteil bestand aus der Erweiterung und Modifizierung einer uns bekannten Schaltung - das war immer das Gesellenstück vom Vorjahr. Im Gegensatz zu den anderen Lehrbetrieben bauten wir diese Schaltung im Vorfeld zur Prüfung selbst neu auf. Einige andere Betriebe verwendeten tatsächlich die alten Gesellenstücke. Bei dieser Prüfung mussten wir die Schaltung und die Platine verändern - hier gab es nur einen Schaltplan für die Platine und für die Schützschaltung eine Materialvorgabe samt Funktionsvorgabe - die Umsetzung mussten wir selbst planen und dokumentieren. Auch dass hat mir großen Spaß gemacht.
Die Gesellenstücke durften wir natürlich nicht behalten, sie wären auch von geringem Nutzen. Ich hätte nur gerne die Unterlagen gehabt...
Vor fünf oder sechs Jahren bin ich nochmal dort gewesen. Die Lehrwerkstatt war inzwischen umgezogen. Was mein ehemaliger Ausbilder über die heutigen Ausbildungsmethoden und die Tauglichkeit der Schulabgänger zur Ausbildung erzählte, schockierte mich doch leicht. Die Prüfung dauert heute insgesamt nur noch einen Tag. Es muss nichts mehr aufgebaut werden, sondern der Auszubildende muss vorher etwas erarbeiten und dann vorstellen - man muss also nicht unbedingt viel können, solange man sich gut verkaufen kann. Auf die Berufsschule, meinte er, würder er am liebsten verzichten, dies sei nur Zeitverschwendung, da alles was dort vermittelt würde/werden sollte, in der Lehrwerkstatt erst auf- und nachgearbeitet werden müsse.
Offensichtlich hat auch hier die sich allseits verbreitende Oberflächlichkeit Einzug gehalten.
Um so mehr denke ich gerne an die Zeit meiner Ausbildung zurück. Wir hatten drei bis vier Elektromeister und einen Schlossermeister, durften Drehen und Schweißen lernen, bastelten mit Elektronik und Elektromechanik und wurden wirklich sehr gut auf unser Berufsleben vorbereitet. Schließlich hatten wir eine eigene Lehrwerkstatt und damit Vollzeitausbildung. Ich konnte Erfahrungen sammeln, die ich nicht missen möchte.
Gruß,
Daniel