Graetz 176W - ein kleiner Bericht

Fragen, Berichte und Tipps zu Reparatur und Technik.

Für Einsteiger: Erste Inbetriebnahme eines Röhrenradios
Forumsregeln
Regeln
Impressum
HegKon
Philetta
Philetta
Beiträge: 16
Registriert: Di Sep 11, 2012 9:35
Wohnort: Südheide

Graetz 176W - ein kleiner Bericht

Beitrag von HegKon »

Hallo Radiogemeinde,

angeregt durch Holger stelle ich hier, da ich heute ein wenig Zeit habe, einen kleinen Bericht über die technische Überholung eines Graetz 176W ein.

Erstmal: wie kam ich zu der Sache?
Vor ein paar Monaten (so etwa April oder Mai) unterhielt ich mich mit einem Bekannten über "Notwendigkeiten" an technischer Ausstattung in unseren heutigen Haushalten sowie erhaltenswerte Technik, die man trotz ihres Alters doch nicht einfach so entsorgen sollte. Und da brachte ich selbstverständlich Röhrenradios ins Gespräch, ist ja klar. Der Kollege kam dann auch nach ein paar Minuten damit raus, dass er noch so´n Teil, es sollte ein TFK sein, im oberen Stockwerk rumstehen habe, würde auch noch einwandfrei funktionieren, trotz seines Alters. Da bat ich ihn, wenn er noch weiterhin Freude am Gerät haben wolle, es in Zukunft erstmal nicht wieder einzuschalten und sich jemanden zu suchen, der da mal eine Kondensatorkur macht, sowie nach weiteren Reparaturbedürftigkeiten Ausschau hält. Na ja, die Suche nach besagter Person war schnell erledigt (...), und man wollte mir dann per elektronischer Post schon mal ein paar Fotos des Gerätes zusenden.
Das TFK stellte sich als Graetz heraus, und zwar ein 176W! Hätte ja nicht gedacht, dass ich in meiner noch jungen Röhrenradioreparaturkarriere so schnell so ein Gerät zu Gesicht bekäme.

Nun zu den Details:
Der Besitzer nahm es vor ca. 20 Jahren vom Straßenrand mit, es sollte entsorgt werden. Allerdings ist das Gehäuse in einem schlechten Zustand, auch die Rückwand fehlt. Einen Ersatz sollte ich weder besorgen, noch anfertigen (ich wies ihn aber auf die damit verbundenen Gefahren hin). Das Gehäuse ist stabil, jedoch das Furnier und die Leisten haben sehr gelitten; der Besitzer möchte, falls ihn denn mal die Muse küsst, das Gehäuse zu einem späteren Zeitpunkt aufbereiten. Somit blieb mir ausschließlich die technische Seite.

Hier ein paar Fotos:

Graetz1
Graetz2
Graetz3

Die ersten "kleineren" technischen Mängel waren die nicht mehr vorhandene Halterung für das Antennen-Abschirmblech (nach ein wenig Recherche in diesem Forum fand ich heraus, dass es mit einem Gummi befestigt wird, später dazu mehr) und die verbogenen Sicherungshalter. Nach Ausbau des Chassis fanden sich dann sehr viele Teeries in Bakelitgehäuse, auch einige Elkos. Eine HF-Spule war im Begriff sich abzuwickeln, was ich mit einem Klecks Tippex verhinderte. Das Skalenglas entfernte ich und lagerte es mit einem kleinen Hinweis im Regal:

Skalenglas

Den Plan mit allem Drum und Dran fand ich hier im Forum; einwandfrei! Nachdem ich dann Chassis und Gehäuse vom Staub befreit, Tasten und Knöpfe gereinigt, altes Fett entfernt und neues Fett aufgetragen hatte sowie die fehlenden Kondensatoren da waren, konnte ich mich ans Werk machen.

Neben den üblichen Verdächtigen tauschte ich auch noch einen schon vom Vorbesitzer vor ein paar Jahrzehnten selbstgebauten Gleichrichter (ohne Vorwiderstand!) aus, ebenso einige Elkos und noch eine Reihe von Widerständen. Es hatten nämlich schon einige gelitten (schwarz verfärbt, gerissen o.ä.). Diejenigen ohne optische Auffälligkeiten maß ich durch.

Gleichrichter vorher
Gleichrichter nachher
Chassis nachher

Ein erster Testlauf brachte allerdings Ernüchterung: der Ton war leise, selbst bei voll aufgedrehtem LS-Poti. Der Bassregler war ohne Funktion. Ein Tausch der EABC80 sowie einer EL84 brachte ein wenig Besserung, aber von der legendären Kraft dieser Gegentaktendstufe konnte noch immer keine Rede sein. Die Umstellung auf 240V schloss ich aus (Heizspannung 6,12V), die anderen Werte stimmten ebenso. Eine Reinigung des LS-Potis sowie des Bass-Potis brachten keine Besserung. Dann blieb noch der AÜ. Nach einer Suchanfrage meldete sich Holger, der mir auch einen AÜ zuschickte. Jedoch brachte auch der Tausch keinen Erfolg, der Fehler musste durch mich eingebaut worden sein. Nach einem kurzen Schaltplanvergleich fand ich dann auch schnell den Fehler:

Schaltplanausschnitt

Den C161 hatte ich nicht an R159 und R163 gelötet, sondern direkt auf Masse. Hatte die falsche Lötfahne erwischt. Ein erneuter Testlauf brachte dann die Freude: voller Sound! LS-Poti und Bass-Regler arbeiteten, und zwar zur vollsten Zufriedenheit. Was für eine Kraft dieses Gerät doch hat!
Es zeigte sich noch ein sehr schwaches MA, was ich durch eine hier öfters diskutierte Kaskadenschaltung ausbügelte:

MA vorher
MA nachher

Der Besitzer des Gerätes findet´s prima.

Ach ja, nochmal zur Antennenabschirmung: das Blech musste ich wieder ein wenig zurechtbiegen, dann passte es erst wieder in die Führung. Ein breites Gummi von einem Petersilienbund verhalf dem Blech dann zu seinem Halt:

Blech

Ein Dauertest lief ohne Probleme, die Temperatur des AÜs sowie des Netztrafos wurden überwacht und waren nicht höher als 37°C. So gut war´s noch nie.

Dem Besitzer brachte ich dann sein Graetz vor kurzem wieder und zeigte ihm, was es kann. Er bestätigte einen bedeutenden klanglichen Unterschied zu vorher und ist verdammt happy, dass es wieder zu alter Kraft gefunden hat. Und für den Fall, dass er das gute Graetz doch noch abstoßen möchte, habe ich mir ein Vorkaufsrecht gesichert :D

So, das war der kleine Graetz-Bericht. Ich hoffe, er war ein wenig interessant.

Mir bleibt noch Holger meinen Dank auszusprechen für die freundliche Überlassung des AÜs. :danke: Ist er wieder heil bei Dir angekommen?

Viele Grüße!


René
Zuletzt geändert von HegKon am Sa Feb 13, 2016 20:34, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
holger66
Moderator
Moderator
Beiträge: 4319
Registriert: Do Dez 18, 2008 6:27
Kenntnisstand: Sehr gute Kenntnisse (Hobby)
Wohnort: Nettetal

Re: Graetz 176W - ein kleiner Bericht

Beitrag von holger66 »

Hallo René,

ja, der AÜ ist wieder da, wo er herkam: im Keller. Mal sehen, ob ich den jemals brauche. Eine RW solltest Du aber schon zu besorgen versuchen. Ohne die ist das Radio einfach nicht komplett. Und wenn Du selber was bosselst...

Gruß
Holger
UKW: Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe.....
Benutzeravatar
Bosk Veld
Geographik
Geographik
Beiträge: 2710
Registriert: Sa Jan 09, 2010 15:49
Kenntnisstand: Elektrotechnischer Beruf/ Studium
Wohnort: Sauerland

Re: Graetz 176W - ein kleiner Bericht

Beitrag von Bosk Veld »

Hallo René,

danke für Deinen ausführlichen Bericht und die Bilder!
Nach der Reparatur freut man sich über zufriedene Gesichter natürlich besonders, auch über die Mundpropaganda im Bekanntenkreis, die oft folgt :) .

Gruß, Frank
Die nächsten Termine Versender von Elektronik und Dampfradiobedarf

Es muss nicht immer alles Sinn machen. Oft reicht es schon, wenn's Spaß macht.
HegKon
Philetta
Philetta
Beiträge: 16
Registriert: Di Sep 11, 2012 9:35
Wohnort: Südheide

Re: Graetz 176W - ein kleiner Bericht

Beitrag von HegKon »

Hallo Radiogemeinde!

@ Holger: Ja, da hast Du recht. Habe auch was im Hintergrund am rollen; schaue immer mal mit einem Auge im Netz rum, ob sich nicht noch eine RW findet. Vielleicht klappt´s. So wie ich nämlich den Besitzer kenne wird er sich alles andere als beschweren, wenn er sieht, was die Rückwand noch ausmacht. Manche Leute muss man zu ihrem Glück einfach zwingen...:-)

@ Frank: Freut mich, dass Dir der Bericht gefallen hat. Kann Deine Aussage bestätigen: die Rückmeldung der Leute, wenn sie totgeglaubte Radios wieder spielen hören und sie sich über diese "einfachen" Dinge so freuen: toll!


Viele Grüße!

René
rettigsmerb
User gesperrt
User gesperrt
Beiträge: 5838
Registriert: Do Mär 17, 2011 16:23
Kenntnisstand: **Zutreffendes Feld fehlt**

Re: Graetz 176W - ein kleiner Bericht

Beitrag von rettigsmerb »

Hallo René,

zunächst einmal ganz herzlichen Dank, dass Du uns mit Deinem tollen Bericht an der Wiedererstehung des Graetz-Radios hast teilhaben lassen. Es ist in der Tat ein schönes Gefühl, einen solchen Veteranen aus dem Dornröschenschlaf zu holen und wieder zum Spielen zu bringen. Das werden hier wohl alle bestätigen können, die es genau so treibt. Weiter so :super:
HegKon
Philetta
Philetta
Beiträge: 16
Registriert: Di Sep 11, 2012 9:35
Wohnort: Südheide

Re: Graetz 176W - ein kleiner Bericht

Beitrag von HegKon »

Danke Herbert. Freut mich.

Viele Grüße!


René


Nachtrag: konnte eine Rückwand besorgen, habe sie auch schon abgeliefert. Und wie vermutet, der Graetz-Eigner war dann doch sehr zufrieden damit.

Mit dem Radio lieferte ich auch den Schaltplan mit allem Drum und Dran ab, sowie einen Schaltplan mit den eingebauten Änderungen (z.B. Kaskade für´s MA - somit kann man es bei Gelegenheit wieder rückgängig machen). Einmal ausgedruckt und einmal mitsamt aller von mir gemachten Fotos auf CD. Damit ist das Gerät vollständig dokumentiert.

So, und jetzt geht´s an den nächsten Patienten.

Viele Grüße!