angeregt durch Holger stelle ich hier, da ich heute ein wenig Zeit habe, einen kleinen Bericht über die technische Überholung eines Graetz 176W ein.
Erstmal: wie kam ich zu der Sache?
Vor ein paar Monaten (so etwa April oder Mai) unterhielt ich mich mit einem Bekannten über "Notwendigkeiten" an technischer Ausstattung in unseren heutigen Haushalten sowie erhaltenswerte Technik, die man trotz ihres Alters doch nicht einfach so entsorgen sollte. Und da brachte ich selbstverständlich Röhrenradios ins Gespräch, ist ja klar. Der Kollege kam dann auch nach ein paar Minuten damit raus, dass er noch so´n Teil, es sollte ein TFK sein, im oberen Stockwerk rumstehen habe, würde auch noch einwandfrei funktionieren, trotz seines Alters. Da bat ich ihn, wenn er noch weiterhin Freude am Gerät haben wolle, es in Zukunft erstmal nicht wieder einzuschalten und sich jemanden zu suchen, der da mal eine Kondensatorkur macht, sowie nach weiteren Reparaturbedürftigkeiten Ausschau hält. Na ja, die Suche nach besagter Person war schnell erledigt (...), und man wollte mir dann per elektronischer Post schon mal ein paar Fotos des Gerätes zusenden.
Das TFK stellte sich als Graetz heraus, und zwar ein 176W! Hätte ja nicht gedacht, dass ich in meiner noch jungen Röhrenradioreparaturkarriere so schnell so ein Gerät zu Gesicht bekäme.
Nun zu den Details:
Der Besitzer nahm es vor ca. 20 Jahren vom Straßenrand mit, es sollte entsorgt werden. Allerdings ist das Gehäuse in einem schlechten Zustand, auch die Rückwand fehlt. Einen Ersatz sollte ich weder besorgen, noch anfertigen (ich wies ihn aber auf die damit verbundenen Gefahren hin). Das Gehäuse ist stabil, jedoch das Furnier und die Leisten haben sehr gelitten; der Besitzer möchte, falls ihn denn mal die Muse küsst, das Gehäuse zu einem späteren Zeitpunkt aufbereiten. Somit blieb mir ausschließlich die technische Seite.
Hier ein paar Fotos:
Graetz1
Graetz2
Graetz3
Die ersten "kleineren" technischen Mängel waren die nicht mehr vorhandene Halterung für das Antennen-Abschirmblech (nach ein wenig Recherche in diesem Forum fand ich heraus, dass es mit einem Gummi befestigt wird, später dazu mehr) und die verbogenen Sicherungshalter. Nach Ausbau des Chassis fanden sich dann sehr viele Teeries in Bakelitgehäuse, auch einige Elkos. Eine HF-Spule war im Begriff sich abzuwickeln, was ich mit einem Klecks Tippex verhinderte. Das Skalenglas entfernte ich und lagerte es mit einem kleinen Hinweis im Regal:
Skalenglas
Den Plan mit allem Drum und Dran fand ich hier im Forum; einwandfrei! Nachdem ich dann Chassis und Gehäuse vom Staub befreit, Tasten und Knöpfe gereinigt, altes Fett entfernt und neues Fett aufgetragen hatte sowie die fehlenden Kondensatoren da waren, konnte ich mich ans Werk machen.
Neben den üblichen Verdächtigen tauschte ich auch noch einen schon vom Vorbesitzer vor ein paar Jahrzehnten selbstgebauten Gleichrichter (ohne Vorwiderstand!) aus, ebenso einige Elkos und noch eine Reihe von Widerständen. Es hatten nämlich schon einige gelitten (schwarz verfärbt, gerissen o.ä.). Diejenigen ohne optische Auffälligkeiten maß ich durch.
Gleichrichter vorher
Gleichrichter nachher
Chassis nachher
Ein erster Testlauf brachte allerdings Ernüchterung: der Ton war leise, selbst bei voll aufgedrehtem LS-Poti. Der Bassregler war ohne Funktion. Ein Tausch der EABC80 sowie einer EL84 brachte ein wenig Besserung, aber von der legendären Kraft dieser Gegentaktendstufe konnte noch immer keine Rede sein. Die Umstellung auf 240V schloss ich aus (Heizspannung 6,12V), die anderen Werte stimmten ebenso. Eine Reinigung des LS-Potis sowie des Bass-Potis brachten keine Besserung. Dann blieb noch der AÜ. Nach einer Suchanfrage meldete sich Holger, der mir auch einen AÜ zuschickte. Jedoch brachte auch der Tausch keinen Erfolg, der Fehler musste durch mich eingebaut worden sein. Nach einem kurzen Schaltplanvergleich fand ich dann auch schnell den Fehler:
Schaltplanausschnitt
Den C161 hatte ich nicht an R159 und R163 gelötet, sondern direkt auf Masse. Hatte die falsche Lötfahne erwischt. Ein erneuter Testlauf brachte dann die Freude: voller Sound! LS-Poti und Bass-Regler arbeiteten, und zwar zur vollsten Zufriedenheit. Was für eine Kraft dieses Gerät doch hat!
Es zeigte sich noch ein sehr schwaches MA, was ich durch eine hier öfters diskutierte Kaskadenschaltung ausbügelte:
MA vorher
MA nachher
Der Besitzer des Gerätes findet´s prima.
Ach ja, nochmal zur Antennenabschirmung: das Blech musste ich wieder ein wenig zurechtbiegen, dann passte es erst wieder in die Führung. Ein breites Gummi von einem Petersilienbund verhalf dem Blech dann zu seinem Halt:
Blech
Ein Dauertest lief ohne Probleme, die Temperatur des AÜs sowie des Netztrafos wurden überwacht und waren nicht höher als 37°C. So gut war´s noch nie.
Dem Besitzer brachte ich dann sein Graetz vor kurzem wieder und zeigte ihm, was es kann. Er bestätigte einen bedeutenden klanglichen Unterschied zu vorher und ist verdammt happy, dass es wieder zu alter Kraft gefunden hat. Und für den Fall, dass er das gute Graetz doch noch abstoßen möchte, habe ich mir ein Vorkaufsrecht gesichert

So, das war der kleine Graetz-Bericht. Ich hoffe, er war ein wenig interessant.
Mir bleibt noch Holger meinen Dank auszusprechen für die freundliche Überlassung des AÜs.

Viele Grüße!
René