Rüstiger Schweizer mit Delikatessen: Autophon "St. Moritz"

Fragen, Berichte und Tipps zu Reparatur und Technik.

Für Einsteiger: Erste Inbetriebnahme eines Röhrenradios
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holger66
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Rüstiger Schweizer mit Delikatessen: Autophon "St. Moritz"

Beitrag von holger66 »

Aus der Meerbuscher Sammlungsauflösung, die am Samstag stattfindet, konnte ich vorab einen für Deutschland seltenen Exoten erwerben: einen Autophon "St. Moritz" aus dem Baujahr 1951:

http://www.radiomuseum.org/r/autophon_stmoritz_alt.html

Das Gehäuse brachte meine Frau zu dem Ausruf: "Oh, Nußbaum rustikal - paßt gut zu belgischen Möbeln !"

Hier sind mal zwei Bilder des Radios vor der Aufnahme in die Sammlung:

Bild

Bild

Bevor ich mit dem Gerät beginnen konnte, hatte ich per PN Kontakt mit unserem Schweizexperten Walter, er stellte mir freundlicherweise den Schaltplan zur Verfügung, der neben der schon beim Betrachten der rmorg-Seite bemerkten Gegentaktendstufe mit 2* EL42 (das ist wirklich exotisch) noch wenigstens ein sehr besonders auffälliges Detail offenbarte:

Bild

Ein geheizter Oszillator für KW ?! Und die Bedeutung des Schaltzeichens bei RV-896 ist mir auch nicht recht klar. Erläuterungen finden sich bei einem Vorgängermodell hier:

http://www.radiomuseum.org/forum/autoph ... eil.html#1

Das dient also der Frequenzstabilität und man darf man getrost sagen: Ziel erfüllt, das Gerät driftet 0,0.

Nun zunächst zum Innenleben, erst mal von vorne:

Bild

Die Kurzwellenlupe wird betätigt, indem man den rechten hinteren Knopf zieht, verdeckt vor den Augen des Bastlers vollzieht sich die Umschaltung innerhalb eines Messingzylinders mechanisch. Wie man da im Bedarfsfall ein neues Seil aufziehen sollte, ist mir schleierhaft.

Dann die Aufsicht:

Bild

Der überaus übersichtliche Aufbau ist gut zu erkennen, für ein Schweizer Gerät aber durchaus üblich, es ist inzwischen mein viertes.

Schließlich der Blick unter die Röcke:

Bild

Es wurden durchwegs Preßkohle-R´s verwendet, was mich bei dem Baujahr wundert. Der gemeinsame Kathoden-R der Endstufe hatte seinen Wert unzulässig verändert, er wurde durch ein solides Bauteil ausgetauscht, dito der früher schon erneuerte Sieb-R mit 1,5 K.

Vor der ersten ernsthaften Inbetriebnahme habe ich dann die Koppel-C´s der beiden Endröhren getauscht, auch den am Gitter der zweiten EAF42 habe ich erneuert, alle anderen blieben im Gerät.

Zunächst spielte das Gerät, es zeigte sich dann aber folgender Fehler: Aussetzen der NF, Glühen des Schirmgitterbleches in der einen EL42, die andere blieb dafür restlos kalt. Fehler war ein abgegammeltes Kabel an der Verbindung dieser zweiten Röhre zum AÜ. Da ich keine EL42 auf Lager habe, habe ich die beiden erstmal abgezogen und mich dann auf die Suche danach gemacht, nach etwas Fluchen war der Fehler schließlich gefunden und behoben. Denn erstmals wieder Betrieb im eigenen Gehäuse, dadurch wurde ein merkbarer Restbrumm deutlich, alsdann habe ich Lade- und Siebelko auch noch getauscht. Nun ist Ruhe im Karton...Pardon, im soliden Schweizer Gehäuse.

Das Radio ist so empfindlich, daß man die berüchtigte Laus husten hören kann, am Tag kann ich im Störnebel glatt 20 Stationen auf MW hören, auf LW ist jeder Kanal besetzt. Die Trennschärfe ist fünfstufig schaltbar, was beim Fischen im Trüben ungemein hilft.

Es ist dies eines der wenigen Radios, mit denen selbst mir als bekennendem UKW-Junkie AM mal Spaß macht, gerade auf LW. Und die Kurzwellenlupe ist sowas von nötig, sonst liegen die Stationen einfach zu dicht. Das Radio war mit 811 Fränklis auch nicht wirklich billig, aber man merkt, wofür die Entwickler das eingeplant haben. Mit Radios dieses Formates war die Entwicklung reiner AM-Geräte auf die Spitze getrieben und gleichzeitig beendet.

Eine Besonderheit bietet noch der Lautsprecher: seine Sicke ist aus einem transparenten Kunststoff, die Pappmemran ist mit deutlich sichtbaren Klebepunkten regelrecht "angepunktet". Sehr seltsam.

Eine für deutsche Verhältnisse ungewohnte Spezialität sind noch die in der Schweiz dieser Jahre durchaus üblichen gedrechselten Holzknöpfe, in die Messingbuchsen eingepreßt wurden, damit man sie wie üblich mittels Madenschrauben auf den Achsen befestigen konnte. Hier ist einer der Frontknöpfe noch mit einer Intarsie versehen, um damit die Stellung des Wellenbereichsschalter anzuzeigen. Irgendwie irre, dieser Aufwand. Und nur wenige Jahre kam auch in der Schweiz UKW auf und diese tollen Geräte waren damit fast obsolet. Allzu viel scheint mein Radio auch nicht gelaufen zu sein. Nur eine EAF42 war mal getauscht, die EM34 von Belvu ist hingegen noch ziemlich gut.

Na denn....ich möchte jedem Sammler, der noch kein Schweizer Radio hat, empfehlen, sich mal eines zuzulegen. Daran wird sichtbar, wie sich die Qualität gegenüber der deutschen Durchschnittsware noch steigern ließ. Mit diesen Geräten sind in puncto Solidität allenfalls die Rheingold-Geräte von Loewe-Opta Spezial zu vergleichen. Leider gibt es sie praktisch immer nur ohne UKW.

H.
UKW: Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe.....
Walterh
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Re: Rüstiger Schweizer mit Delikatessen: Autophon "St. Morit

Beitrag von Walterh »

Hallo Holger

Danke für den schönen Bericht.

Wie ist (oder ist überhaupt) die Rastung für die gespreizten Bereiche realisiert? Ich sehe keine zweite Scheibe am Drehko wie beim 853er.

Gruss, Walter
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Re: Rüstiger Schweizer mit Delikatessen: Autophon "St. Morit

Beitrag von BugleBoy »

Walterh hat geschrieben:Danke für den schönen Bericht.
Ich stimme auch zu... Chassis sieht aber zu leer aus ;-)

Grüss
Matt
すみません
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holger66
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Re: Rüstiger Schweizer mit Delikatessen: Autophon "St. Morit

Beitrag von holger66 »

Hallo Walter,

eine Rastung gibt es da nicht. Im Prinzip ist die Funktion wie bei Philips: der gedrückte Knopf betätigt die Hauptabstimmung, der gezogene Knopf die Kurzwellenlupe. Mehr ist da nicht. Evtl. war das Vorgängermodell da anders konstruiert.

Hast Du eigentlich Deinen UKW-"St. Moritz" inzwischen bekommen ?

Hallo Matt,

tja, da fehlen die Bandfilter für 10,7 Mhz ! Dann wäre das Chassis voll genug, eine EB41 käme dann ja auch noch dazu. Und ein UKW-Tuner.

Hier noch ein witziges technisches Detail:

Bild

Interessant, wo die Sicherungen liegen, oder ? Es ist schon kurios, wie in den verschiedenen europäischen Ländern mit den Sicherungen verfahren wurde. In deutschen Radios gibt es meist nur eine auf der Primärseite, manchmal noch eine sekundär. Hier sind beider sekundär. Ich habe auch schon niederländische Radios ganz ohne gesehen, dafür dann skandinavische mit 4: primär, zweimal sekundär und noch eine im Heizkreis. Ich überlege ernsthaft, hier auch primär noch eine irgendwo reinzufrickeln. 500mA sollten reichen, denke ich.

H.
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Re: Rüstiger Schweizer mit Delikatessen: Autophon "St. Morit

Beitrag von saarfranzose »

ein Fehler kann es nicht sein noch eine Primärsicherung dazu zu setzen. Lustig, wenn eine der beiden 100mA Sicherungen auslöst wird das Radio immer noch funktionieren, halt mit verminderter Leistung. Dafür kann man aber lokalisieren welche Diodenstrecke den evtl. Überschlag machte .. wenn man es denn wissen will.
Tolle Kiste! Ich bewege mich auch immer am liebsten etwas abseits vom gewohnten Mainstream.
Gruß,
Jupp
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Der Sammler "an sich" wird einfach nie ethisch oder moralisch sein. Liegt in der Sache der Natur... Sonst wären wir ja keine "Sammler & Jäger", sondern biedere Heimchen (Marek)
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Re: Rüstiger Schweizer mit Delikatessen: Autophon "St. Morit

Beitrag von Wheely »

Hallo Holger

Ein schönes Radio das sich angenehm von den üblichen Herstellern abhebt. Leider tauchen zu selten solche Exoten auf, noch dazu in so einem schönen Zustand. Die Vorstellung von der Schweizer Delikatesse ist sehr gelungen :super:

Radiogrüße :hello:
Hans Detlef