PHILIPS EL6411 - m.M.n. oft unterschätzt

Fragen, Berichte und Tipps zu Reparatur und Technik.

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Stereowaage
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PHILIPS EL6411 - m.M.n. oft unterschätzt

Beitrag von Stereowaage »

Ein freundliches Hallo an alle,

den Beitrag von Basti http://www.dampfradioforum.de/viewtopic ... 11#p105537 noch im Kopf und nach Stöbern in weiteren interessanten Informationen zu diesem Mischverstärker (für öffentliche Räume), u.a.:

http://el34world.com/Forum/index.php?to ... p?t=450913
http://www.radiomuseum.org/forum/frage_ ... l6411.html
http://www.hifi-forum.de/viewthread-111-2545.html

möchte ich kurz und mit einigen Bildern bei der Aufarbeitung meiner zwei Philips EL6411 (2x EF40, 2x ECC40, 4x EL81; einer mit 2x TA 312 D 150 und der andere mit 4x SR250B 100 als Gleichrichterbrücke) meine Arbeitsschritte beschreiben.

Arbeitsintensiv war die Reinigung und nichts mehr für Wattestäbchen:
Extremer fettiger Schmutz mit dickem Nikotinüberzug. Schutz der Transformatoren / Übertrager durch Plastik- (Gefrier-) Beutel mit Schießgummi als untere Abdichtung, Einsprühen mit recht aggressivem Reiniger (Bref) mit gut 30 Minuten Einwirkzeit und mechanische Reinigung mit Zahnbürsten. Danach vorsichtige Warmwasserspülung und Übernacht-Trocknung auf einem Heizkörper.
Entfernen des Zinkoxidstaubs (als Reaktion auf die Reinigung [ggf. Staubmaske]). Freistellen und verschieben der Trafos und des Frontpanels und Nachbehandlung des ganzen Chassisblechs mit WD40 und gründlichem trockenem Nachwischen mit saugfähigem sauberen Lappen. (Falls bereits Rostflecken: Anschleifen und mit WD40, Owatrol o.a. nachbehandeln.)
Prüfung, Reinigung und ggf. Gangbarmachen der Front-Bedienungselemente, Prüfung / Austausch des Signallämpchens (Ein / Aus). Demontage des Chassisbodens.

Tausch ALLER Kondensatoren durch spannungs-hochfeste Typen (<650V~ / <1000V=), ebenso Sieb- u. Glättungselkos (500-600V).
Tausch der Selen-Brückengleichrichter durch Siliziumtypen und Nachschaltung eines 270 R / <11W (bei mir in der Plusleitung). Sehr wichtig für diesen Verstärker in seiner genial einfachen Schaltung sind exakte Werte für Gittervorspannung und Schirmgitterspannung (Hilfsanode). Prüfen ggf. besser gleich wechseln der hierfür wichtigen Bauteile: R45 (39 R besser mit höherer Belastung), R44, R43 und wechseln der OA55 Germaniumdiode durch 1N4007 (Kathodenrichtung beachten!).

Reinigung der Trafos und aller Röhrenfassungen (Keramik, Interdentalreiniger). Kompletter Ersatz und Schutz mit Silikonschlauch der Anodenleitungen der Endpentoden, das Kabelmaterial ist nach 60 Jahren Pentodenhitze meist "verglast" / brüchig. Optische (Lupen-) Kontrolle des Überschlagschutzes für den AÜ ("spark gap"), ggf. abkoppeln und auf nicht erwünschten Durchgang prüfen.

Ich habe auch die Radio- / TA-Eingänge auf Cinchbuchsen und den Lautsprecheranschluss für Bananenstecker mit Messgerätebuchsen umgebaut (leicht rückbaubar da angeschraubt und auf Montageplättches aus Pertinax).

Prüfung der Röhren; Heizkette ab den Endpentoden ohne Funktion: Suche ergibt punktförmigen Schmorbrand der engverdrillten Heizkabel kurz vor Anschluss an Pin 4 und 5 der ersten EL81 (v. re. gezählt, s. Bild 09). Nach Anschluss eines 4 - 8 Ohm Lautsrechers (AÜ-Wählscheibe auf "10V") Kontrolle von Heiz- , Anoden- und Gittervorspannung (s. Manual), ggf.der Kathodenströme (BIAS-Einstellungen möglich, s. Links) und der Gesamtstromaufnahme (bei langsamem Hochfahren des Verstärkers an einem Regeltrenntrafo).

Vom Beginn (1) bis zum (für mich) sehr gut klingendem Hörplatz (16):

http://downloadarchiv.cepha.de/Aufarbei ... %20EL6411/

P.S.: Kein Rauschen oder Brummen, toller Sound: Meiner Meinung nach zu oft unterschätzter Röhrenverstärker aus der Hochzeit dieser Philipskonstruktionen (1954 ...). Restauration und Nutzung durchaus lohnenswert.

P.P.S.: Oszillographische Kontrolle des an beiden EL6411 verarbeiteten Ausgangssignals nach Einspeisung eines NF-Sinus (CLAMANN & GRAHNERT) von 20Hz bis 20 kHz (mit akustischer Kontrolle zwischen 30Hz und 10 kHz) zeigt eine völlig saubere Signalform im gesamten Arbeitsbereich (verschiedene Amplituden mit Lautstärkeeinstellungen von min. bis max.), weder Übersteuerungen noch Verzerrungen.
Zuletzt geändert von Stereowaage am Do Okt 08, 2015 16:00, insgesamt 4-mal geändert.
mit besten Grüßen
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Re: PHILIPS EL6411 - m.M.n. oft unterschätzt

Beitrag von grueni »

Hallo Stereowaage,
Stereowaage hat geschrieben: Wechseln der OA55 Germaniumdiode durch 1N4007 (Kathodenrichtung beachten!).
Ich weiß nicht, was die gute alte Glasdiode OA55 in dem Gerät macht. Im vielen Anwendungen kann man (alte) Germaniumdioden nicht einfach durch (moderne) Siliziumdioden ersetzen, weil die eine ganz andere Kennlinie haben. Die Durchbruchspannung ist bei GE-Dioden bei 0,4V und bei SI-Dioden bei 0,6V oder liege ich da falsch?
Möglicherweise ist es bei deinem Verstärker tatsächlich egal, es ist ja wohl kein Empfangskreis. :wink:
Freue dich an dem schönen Röhrensound. :bier:

Klaus-Dieter
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Re: PHILIPS EL6411 - m.M.n. oft unterschätzt

Beitrag von saarfranzose »

die OA55 sorgt über eine Hilfswicklung für die Gittervorspannung der Endröhren. An dieser Stelle lässt sich problemlos Silizium einsetzen.

tolle und gründliche Arbeit, Christian!
Philips_EL6411.png
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Gruß,
Jupp
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Re: PHILIPS EL6411 - m.M.n. oft unterschätzt

Beitrag von Stereowaage »

Hallo Klaus Dieter,

Jupp hat's geklärt.


Grüß dich Jupp,

liebe Grüße nach Dillingen!

vielen Dank. Ich gebe zu, dass ich am Anfang dieser Arbeiten schon noch ein wenig Zweifel hatte ob sich die Ersatzteillisten für diese Röhrenverstärker wirklich auch hörbar machen werden. Aber es war für mich in mehrfacher Hinsicht ein schönes Erlebnis: Jean aus Berlin war mit Lötkolben und tatkräftiger Hilfe an zwei Tagen zu Besuch, ich durfte auch bei deinem Hinweis auf den EL6401, den du in Ehren hälst, wieder einmal an den lieben Volkmar denken, den ich am Telefon so oft kaum richtig vestehen konnte :wink: und schließlich das Endergebnis über das ich meinem Bruder schrieb: "Es beeindruckt mich schon ein wenig, wie Ingenieurskunst und (wenn auch Massen-)Wertarbeit von vor 60 Jahren solchen Klang entfalten kann wenn man sich um die relativ bauteilarme solide und diskret ausgeführte E-Technik nur ein wenig kümmert. Gar nicht zu vergleichen mit dem oft hohen Aufwand der Stereoboliden der 70er - 90er und dem "Minimalaufwand" der in SMD- und IC-Technik in modernster Automatisation oder/und unter asiatischem Billiglohnniveau gefertigten Neuzeitler."

Es hat mir in jeder Hinsicht Freude bereitet - und das ist es doch, von dem wir alle gut gebrauchen können :D
mit besten Grüßen
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Re: PHILIPS EL6411 - m.M.n. oft unterschätzt

Beitrag von Stereowaage »

Da sich derweil zwei weitere Verstärker dieses Typs zur Überarbeitung bei mir eingefunden haben wollte ich an dieser Stelle noch einen Fehler beschreiben, den keiner braucht... :
Nach etwa vierzehntägigem ungestörten Betrieb nach Restauration des zweiten EL6411 zeigte sich eine kleine Rauchfahne aus dem Bereich des Netztrafos , der Klang verzerrte sich und ich trennte diesen Verstärker sofort vom Netz. Die vorgeschriebene Gerätesicherung hatte nicht ausgelöst.
Wie Henning schon ahnte war der Fehler in einem Elektrodenschluss einer der 4 EL81 zu finden, ich setzte letztlich alles NOS und mit "GUT" geprüfte Röhren nach und alles, was ich mehrfach nachfolgend mass und prüfte (passive und aktive Bauteile samt Trafo und AÜ) zeigte sich dann unauffällig.
s.auch http://www.dampfradioforum.de/viewtopic.php?f=2&t=21524
http://www.dampfradioforum.de/viewtopic.php?f=2&t=20833

Trotzdem traten bei mittels Regeltrenntrafo hochgefahrener Netzspannung ab etwa 100V AC (etwa 150-180V DC Ua) immer wieder heftige Verzerrungen bis hin zum "Knattern" auf. Da dies ein Hinweis auf unterschiedliche Arten der Rückkopplung (Mitschwingen) sein mochte untersuchte ich wiederholt den AÜ (mittels Rechteckeinspeisung sekundärseitig und Oszillograph am Abschlusswiderstand primärseitig) und den Gegenkopplungsweg, tauschte die eigentlich noch neuen Netzteilelkos (V.a. "Motorboating") konnte aber keinen Fehler finden oder beseitigen.
Letztlich der Tipp von Jean Noerden, zu dem ich den Verstärker bringen wollte da Henning mir dankenswerterweise bei der Fehlerbehebung helfen wollte, brachte mich dann auf einen Fehler in der Gegenkopplung (s. oben Schaltplanausschnitt von "Saarfranzose") an einer Strelle, an der ich gar keine Arbeiten ausgeführt hatte: Die Kabelfarben der separaten Gegenkopplungswicklung des AÜ waren wohl bei diesem Modell vertauscht worden - möglich und wahrscheinlich also, dass dieser EL6411 schon vorher geschwungen hat oder beim/mit dem Elektrodenschluss der einen EL81 (Gegentakt B) sich hochschaukelte.

Nach Umlöten der der Anschlüsse der separaten Gegenkopplungswicklung verstärkt dieser EL6411 wieder mit dem von mir (an DUAL CL190-Boxen) geschätzten Klang und auch ohne jeden Brumm oder andere Störung.

Danke nochmals an alle, die mir geholfen haben und mir ihre Hilfe anboten!
mit besten Grüßen
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Re: PHILIPS EL6411 - m.M.n. oft unterschätzt

Beitrag von paulchen »

Also erstmal :hello: :hello: :hello: :hello: !

Schön mal wieder was von Dir zu lesen. Und dann noch diese Botschaft. Hätte ja nicht gedacht, daß sich das Problem so einfach lösen lässt und vor allem das es schon eingebaut war.
Hätten wir vor ein paar Wochen dieses Thema nicht so ausgiebig diskutieren müssen, wäre ja noch Zeit für Grönland geblieben (für die anderen - kleine Insidergeschichte).
Wie dem auch sei. Es freut mich das Dein Dauerproblem nun endlich, endlich keins mehr ist!

Sei lieb gegrüßt und mache das auch mit Evi von mir
paulchen
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Re: PHILIPS EL6411 - m.M.n. oft unterschätzt

Beitrag von Stereowaage »

Dies :hello: :hello: :hello: :hello: mit Freude und Gruß zurück!

Ja, so kann das kommen: Wenn sich schon ganz am Ende glaubt kommt statt eines neuen Netztrafos oder AÜs doch noch die einfache Lösung. Henning hätte das sicher sofort gemerkt. Mich aber würde nun nachträglich interessieren mit welcher Phasenlage die Gegenkopplung aus der separaten AÜ-Wicklung herauskommen muss - wahrscheinlich eben gegenphasig zum Signal am Ausgang der letzten verstärkenden Triode (vor der Phasenumkehrstufe), an deren Kathode ja dann die Gegenkopplung anliegt.
Nein, das war wohl falsch überlegt denn es findet sich folgende Definition: "Unter Gegenkopplung versteht man die phasenrichtige Rückführung eines Teiles des Ausgangssignales auf den Eingang des Verstärkers "

Auch wenn diesem "Public Adress Amplifier" aus den 50ern das Stigma eines "Bahnhofsansageverstärkers" mit hohem Verzerrungspotential nachgesagt wird: Nicht nur Pink Floyd sondern auch Jazz und andere Hörgeschacksträger kommen an passenden (ggf. zeitgenössischen) guten Boxen m.M.n. sehr gut zur Darstellung und Wiedergabe. Und wahrnehmbares Brummen oder Rauschen muss absolut nicht sein.

P.S. Evi hat sich über deine Grüße gefreut und lässt zurückgrüßen!
P.P.S. Grönlandschnack wird nachgeholt :D
mit besten Grüßen
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Re: PHILIPS EL6411 - m.M.n. oft unterschätzt

Beitrag von röhrenradiofreak »

"Phasenrichtig" heißt in diesem Fall "richtigerweise mit umgekehrter Phasenlage". Denn sonst wäre es keine Gegenkopplung, sondern eine Mitkopplung. Dass letztere zu Instabilität führt, hast Du ja selbst erlebt.

Lutz
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Re: PHILIPS EL6411 - m.M.n. oft unterschätzt

Beitrag von Stereowaage »

Also unnötige 180° "Gedankenverknotung"... - man sollte sich auf das, was man verinnerlicht oder gelernt hat, auch einfach einmal verlassen; danke Lutz!
mit besten Grüßen